"Büchlein für Arme und Kranke auf dem Land geschrieben.."
Kneipp: 'Meine Wasser-Kur' S.254
Meine Wasser-Kur
durch mehr als 30 Jahre erprobt
und geschrieben zur
Heilung der Krankheiten
und Erhaltung der Gesundheit
von
Sebastian Kneipp,
Pfarrer in Wörishofen (Bayern).
Siebzehnte Auflage
Kempten.
Verlag der Jos. Kösel'schen Buchhandlung
1890
Geh hin und wasche Dich siebenmal im Jordan, und
Dein Fleisch wird wieder gesund und Du rein werden!
4. Kön. 5, 10.
III
Vorwort zur ersten Auflage.
Als Priester liegt mir vor allem das Wohl der unsterblichen Seelen am Herzen.
Dafür lebe ich, und dafür will ich sterben. In den verflossenen
vier Jahrzehnten, 30 bis 40 lange Jahre hindurch, haben mir indessen auch
die sterblichen Leiber viele Arbeit und opfervolle Sorgen bereitet. Ich habe
diese Arbeit nie gesucht. Das Kommen eines jeden Kranken war und ist mir (natürlich
gesprochen) eine Last. Nur der Aufblick zu demjenigen, der vom Himmel herabgestiegen
ist, unser aller Krankheiten zu heilen, und der Gedanke an die Verheißung:
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen....;
der letzte Trunk Wasser soll nicht unbelohnt bleiben waren imstande,
die naheliegende Versuchung, alle Bittgesuche ohne Unterschied des Bittstellers
in jedem Falle abzuweisen, zu unterdrücken. Diese Versuchung lag um so
näher, da nicht Gewinn, vielmehr unberechenbarer Zeitverlust; nicht Ehre,
vielfach Verleumdung und Verfolgung; nicht Dank, sondern in gar manchem Falle
Undank, Spott und Hohn meine Diäten bildeten. So mußte es gut sein,
und ich bin ganz damit zufrieden. Daß ich aber nach solchen Antezedenzien
(Vorgängen) nicht besondere Lust verspüre zum Schreiben, begreift
ein jeder, zumal bereits das Alter drückt und Geist und Körper sich
nach Ruhe sehnen.
Nur das anhaltende und ungestüme Drängen meiner Freunde, die es
eine Sünde gegen die Nächstenliebe nennen, wenn meine Erfahrungen
mit meinem modernden Körper in die Grube fahren, zahllose Bittschreiben
von Geheilten, insbesondere aber das Flehen armer, verlassener Kranker auf
dem Lande drücken mir den Schreibgriffel in die widerstrebende, bereits
zitternde Hand.
Der ärmeren Klassen, der vielfach verwahrlosten und vergessenen Kranken
auf dem einsamen Lande habe ich mich jederzeit mit besonderer Aufmerksamkeit
und Liebe angenommen. Diesen vor allen soll mein Büchlein gewidmet sein.
Die Sprache ist zu dem Zwecke angemessen, einfach, klar. Mit Absicht suche
ich, mit Umgehung jedes gelehrten Firlefanzes, mehr in Unterhaltungsform zu
schreiben, als ein dürres, ausgetrocknetes, saft- und kraftloses Gerippe
zu geben. Die Breite der einen oder anderen Erzählung, manche Wiederholungen
mag man, den guten Zweck, die redliche Absicht im Auge behaltend, nachsichtig
übersehen.
Nichts lag mir ferner, als gegen irgendeine der bestehenden medizinischen
Richtungen polemisierend, kämpfend aufzutreten, irgendeine Persönlichkeit,
deren Wissenschaftlichkeit und Ruf auch nur im kleinsten Punkte anzugreifen.
Ich weiß sehr gut, daß nur dem eigentlichen Fachmanne derlei Veröffentlichungen
zustehen; ich lebe indessen der Überzeugung, daß gerade solche
dankbar sein werden, wenn einmal auch ein Laie seine
IV
vieljährigen Erfahrungen in dieser Beziehung mitteilt. Jedem aufrichtigen
Entgegenkommen werde ich stets mit Freuden die Hand reichen, Korrekturen und
Winke dankbar annehmen. Um jenen unschweren Tadel und jene gar leichte Kritik
aber, welche Parteistandpunkten entfließen, werde ich mich durchaus
nicht kümmern und den Pfuscher und Quacksalber
ruhig hinnehmen.
Ich selbst habe nichts sehnlicher gewünscht, als daß ein Mann von
Beruf, ein Arzt, mir diese schwere Last und drückende Arbeit abgenommen
hätte, und ich trage kein innigeres Verlangen und Wünschen, als
daß endlich die Leute vom Fach allgemeiner und umfassender auch die
Wasserheilmethode gründlich studieren und in die Hand und Aufsicht nehmen
mögen. Ein solcher wolle diese Laienarbeit als kleines Hilfsmittel betrachten.
An dieser Stelle kann ich versichern daß trotz meines vielfach sehr
schroffen und abstoßenden Benehmens das größte Gebäude
nicht ausgereicht hätte, all die Kranken und Leidenden, welche ohne Übertreibung
nach Tausenden und Zehntausenden zählen, aufzunehmen, daß ich ferner
mit Leichtigkeit reich, sehr reich sein könnte, wenn ich nur einen Teil
des mir angebotenen Heillohnes hätte annehmen wollen.
Viele Patienten kamen und sagten: Ich gebe 100, 200 Mark, wenn Sie mich
gesund machen. Der Leidende sucht Hilfe, wo er sie findet, und bezahlt
dem Arzte mit Freuden, was ihm zukommt, wenn er ihn heilt, gleichviel ob die
Heilung mit der Medizinflasche oder der Wasserkanne geschieht.
Berühmte Männer aus dem Stande der Ärzte haben die Wasserheilmethode
mit Entschiedenheit und großen Erfolgen begonnen. Mit ihnen wurden ihre
Winke und Ratschläge und Kenntnisse vielfach begraben. Daß endlich
einmal dem Morgenrot ein dauernder heller Morgen folge!
Für jeden im Buche genannten oder angedeuteten Namen stehe ich jederzeit
mit voller Verantwortung ein und werde nie anstehen, auf Verlangen denselben
öffentlich zu nennen. Manche vielleicht harte Ausdrucksweise möge
man auf Rechnung meiner etwas herben und derben Gemütsart schreiben.
Mit ihr bin ich alt geworden, und es fällt beiden schwer, uns im Alter
noch zu verleugnen und zu trennen.
Dem die Wanderung antretenden Büchlein möge vor allem Gottes Segen
nicht fehlen!
Und wenn einst meine Wasserfreunde erfahren, daß ich in die Ewigkeit
gewandert, dann wollen sie mir den Liebesdienst erweisen und in einem kräftigen
Vaterunser einen kühlenden Strahl mir nachsenden, allwo der Arzt der
Ärzte die arme Seele in der Feuerkur zum ewigen Leben heilt und läutert.
Wörishofen, Eisenbahnstation Türkheim in Schwaben,
1. Oktober 1886. Der Verfasser.
V
Vorwort zur fünften Auflage.
Jeder Hausvater freut sich, wenn er von Zeit zu Zeit einen Sohn oder eine
Tochter versorgen kann; so sind auch bereits zu meiner großen Freude
4 Auflagen nach allen Richtungen gewandert, und die tausende von Büchern
wurden da und dort aufgenommen, um Ratgeber und Helfer zu sein in den verschiedensten
Mühseligkeiten des Lebens. So gehen denn auch Du, 5. Auflage, 6000fach
und kehre ein bei Hoch und Nieder, bei Reich und Arm gleich einem rathgebenden
Freunde!
Eine recht große Anzahl von Briefen kam an mich, und ich bedaure nur,
daß ich nicht nach Wunsch und Willen alle beantworten konnte. Es gereicht
mir wirklich zur großen Freude, wenn ich sehe, wie so viele selbst aus
dem Buche die rechten Mittel auswählen und die verlorene Gesundheit wieder
erlangen. Meine größte Freude aber wird die sein, wenn Ärzte
sich dieses Heilverfahrens annehmen und auf diese einfache Weise der Menschheit
zu nützen suchen. Es waren auch schon mehrere Ärzte bei mir, um
zu sehen, wie man auf die einfachste Weise die Anwendungen vornehmen könne.
Wenn auch nicht bekannt gemacht wurde, daß hier eine Heilanstalt errichtet
wurde, und jede Einladung unterblieb, so sind doch recht viele aus allen Gegenden
hierhin gekommen und haben nicht nur Hilfe gesucht, sondern auch wirklich
gefunden. Soll diese einfache Methode nützen, was sie vermag und kann,
so ist vor allem notwendig, daß mehrere neue Badeanstalten errichtet
werden.
Ich begrüße es daher mit Freuden, daß in Jordanbad bei Biberach
in Württemberg eine Wasserheilanstalt ganz nach meiner Methode eingerichtet
und vom Frühjahr 1889 eröffnet wird unter der Leitung barmherziger
Schwestern und eines prakt. Arztes, der sich während der letzten zwei
Jahre eine solche Kenntnis und Erfahrung in meiner Heilmethode erworben hat,
daß er mein volles Vertrauen genießt. Es sei daher die Heilanstalt
"Jordanbad" bestens empfohlen: möge sie sich vervielfältigen
wie mein Büchlein und vielen Kranken und Lebensmüden die verlorene
Gesundheit wiedergeben; dieses ist mein Herzenswunsch!
An alle einen schönen Gruß zum Geleite!
Wörishofen, 27. Oktober 1888. Der Verfasser.
Vorwort zur sechsten Auflage.
Zu meinem nicht geringen Erstaunen war die 5. Auflage, 6000 Expemplare stark,
in 5 Wochen bereits vergriffen, ein Erfolg, der meine Erwartungen gänzlich
überstieg.
Wie ich schon öfters, brieflich und mündlich, erwähnt habe,
gereicht es mir stets zur größten Freude, wenn Ärzte sich
die Mühe geben, mein Heilverfahren gründlich kennen zu lernen, und
ich bin gerne bereit, ihren ratend und anweisend beizustehen. Aber dagegen
muß ich Verwahrung einlegen, daß jemand, ohne sich diese gründliche
Kenntnis erworben zu haben, schon als Vertreter meiner Heilmethode sich ausgibt.
Nachteile, welche durch unrichtige Anwendung meines Heilverfahrens entstehen,
fallen eben nur dem Mißbrauch und der Unkenntnis zur Last.
Ich benütze daher diese Gelegenheit, nochmals das Jordanbad bei Biberach
in Württemberg bestens zu empfehlen, welches ganz nach
VI
meiner Heilmethode anfangs Mai 1889 eröffnet wird unter Leitung des Dr.
med. J. Stützle, eines tüchtigen Arztes, der sich, wie bereits in
der 5. Auflage bemerkt, eine gründliche Kenntnis und Erfahrung dahier
und somit mein volles Vertrauen erworben hat. Ich lebe der festen Überzeugung,
daß solchen Ärzten mein Heilverfahren ebenso zur eigenen Befriedigung
wie zum Segen ihrer Patienten gereichen wird.
So tritt denn auch du, 6. Auflage, 6000fach deine Wanderung an, und überall,
wo du einkehrst, gib Rat und Hilfe den armen Leidenden und überbringe
einen schönen Gruß und Segenswunsch von ihrem Freunde.
Wörishofen, am Neujahrstage 1889. Der Verfasser.
Vorwort zur siebenten Auflage.
Habe ich die erste Auflage "meiner Wasserkur" einen Sohn genannt,
so wurden rasch nacheinander sechs solche Söhne in die weite Welt hinausgesendet,
und soeben schickt sich der siebende an, gleichfalls hinauszuziehen in derselben
Absicht, um möglichst vielen ein Helfer in der Not zu sein.
Wie die vom Elternhause in die Welt hinaus geschickten Kinder ihren Eltern
gewöhnlich große Sorge machen, so werden auch für mich die
bald nacheinander erschienenen Auflagen meiner weithin verbreiteten "Wasserkur"
Anlaß zu großer Sorge, sofern sie mir jedes ruhige Stündlein
von Morgens früh bis Abends spät rauben. Ich werde nämlich
von allen Seiten her mit brieflichen Anfragen überschüttet; täglich
laufen 30-40 Briefe an mich ein, in welchen ich um nähere Anleitung zum
Gebrauch meiner Wasserkur ersucht werde, obschon das Buch für die meisten
Krankheitsfälle hinreichende Anleitung gibt und man nur bei den Anwendungen,
um nichts zu verderben, vorsichtig zu sein und deren nicht allzu viele zu
machen braucht; auch in den kleinsten Anwendungen wirkt das Wasser oft wunderbar.
Die meisten Briefe, welche in Sachen der Wasserkur an mich gerichtet werden,
sind auch gewöhnlich so ausführlich, daß der vierte oder sechste
Teil ausreichen würde; ferner sind nicht selten die Schriften sehr schlecht
und ist mitunter weder der Name noch der Wohnort des Anfragestellers leserlich
geschrieben.
So gern ich nun jedem Leidenden zu Willen sein möchte, so ist es mir
doch geradezu unmöglich geworden, alle diese brieflichen Anfragen zu
beantworten, und sehe mich daher genötigt, hiermit zu erklären,
daß ich niemandem, der in Sachen meiner Wasserkur einen Brief an mich
schreibt versprechen kann, daß ich denselben beantworten werde, und
ich bitte, mir das nicht übel nehmen zu wollen.
So schicke ich nun auch die siebente Auflage in 6000 Expemplaren hinaus in
die Welt, von Herzen wünschend, daß Gottes Segen sie begleite.
Wörishofen, im April 1889. Der Verfasser.
Vorwort zur zwölften Auflage.
So sind denn bereits elf Auflagen von "Meiner Wasserkur" hinaus
gegangen in die Welt als Ratgeber und Helfer bei Krankheiten und allen verschiedenen
Mühseligkeiten des irdischen Lebens, und es gereicht
VII
mir zum großen Trost, daß die leidende Menschheit durch das allgemein
verbreitete Heilmittel, das "Wasser" Hilfe findet. Besonders aber
tröstet mich, daß neue Heil-Anstalten entstanden und entstehen,
so daß in den verschiedenen Gegenden die Leidenden nicht zu weit zu
reisen haben, um Hilfe durch Wasser-Anwendungen zu bekommen. Das Jordanbad
bei Biberach wurde eröffnet; recht viele Kranke haben sich dorthin gewendet,
und die Anstalt hat schon viele recht glückliche Kuren aufzuweisen. Eine
zweite Gelegenheit ist geboten in Immenstadt; auch von dieser Anstalt wird
nur Rühmliches gesagt, und deshalb ist gute Aussicht für die Zukunft
vorhanden, daß sich dieselbe immer weiter entwickeln werde.
Die dritte Wasserheilanstalt wurde eröffnet in Ulm und wird, wie ich
schon öfters gehört, sich nach und nach immer weiter entfalten.
In Rosenheim ist auf allgemeines Verlangen der Stadt eine Anstalt nach meinem
System kürzlich eröffnet worden, und ich habe bereits gehört
von den guten Erfolgen; denn Herr Dr. Bernhuber war längere Zeit in Wörishofen
Badearzt und besitzt ein herrliches Talent für sein Fach. Er ist nicht
bloß ein guter Arzt, sondern auch ein vorzüglicher Operateur; derselbe
hat oft erklärt: Mit Wasser werden Krankheiten geheilt, wo andere
Mittel keine Hilfe mehr bringen können. Deshalb hoffe ich mit Grund,
daß gerade diese Anstalt sich recht segensreich entwickle.
Herr Dr. Georg Wolf hat in Traunstein, wo schon durch das frühere Bad
die nötigen Gebäude vorhanden sind, eine neue Anstalt eröffnet.
Herr Dr. Wolf ist ein ruhiger, besonnener und edler Charakter, hat in Wörishofen
durch längere Zeit mein ganzes Heilverfahren gründlich kennen erlernt
und eingeübt, und ich glaube, daß ich diesen Arzt mit Recht den
Patienten für das Heilverfahren meiner Wasserkur aufs wärmste empfehlen
kann. So haben meine vielen Freunde und Gäste in der Nähe und in
der Ferne, namentlich die in Österreich, eine günstige Gelegenheit,
die guten Wirkungen meiner Wasserkur unter seiner Leitung kennen zu lernen;
denn gerade Leidende aus Österreich und Ungarn, so weit von hier entfernt,
haben mit großer Begeisterung meine hiesige Wasserkur-Anstalt besucht
und nach der Heimkehr, in dankbarer Erinnerung an die erzielten Erfolge, mein
Heilverfahren weiter verbreitet.
Wörishofen, den 3. Dezember 1889. Der Verfasser.
Inhalts-Verzeichnis.
Vorwort III
Einleitung 1
Erster Teil: Wasser-Anwendungen.
Allgemeines 15
Abhärtungs-Mittel 21
A. Aufschläger:
1. Der Oberaufschläger 32
2. Der Unteraufschläger 33
3. Der Ober- und Unteraufschläger 34
4. Auflage auf den Unterleib 34
B. Bäder:
I. Fußbäder:
1. Das kalte Fußbad 39
2. Das warme Fußbad 39
II. Halbbäder 42
III. Sitzbäder:
1. Das kalte Sitzbad 44
2. Das warme Sitzbad 45
IV. Vollbäder oder Ganzbäder:
1. Das kalte Vollbad 46
2. Das warme Vollbad 56
3. Die Mineralbäder 62
V. Teilbäder:
1. Das Hand- und Armbad 65
2. Das Kopfbad 65
3. Das Augenbad 67
C. Dämpfe:
1. Der Kopfdampf 72
2. Der Fußdampf 76
3. Der Leibstuhldampf 78
4. Besondere Dämpfe auf einzelne kranke Stellen 80
D. Gießungen:
1. Der Knieguß 81
2. Der Oberguß 82
3. Der Rückenguß 85
4. Der Unterguß 85
5. Der Ganz- oder Vollguß 86
E. Waschungen 87
1. Ganzwaschung 88
2. Teilwaschung 91
F. Wickelungen:
1. Der Kopfwickel 92
2. Der Halswickel 93
3. Der Schal 94
4. Der Fußwickel 95
5. Der Unterwickel 97
6. Der kurze Wickel 99
7. Das nasse Hemd 101
8. Der spanische Mantel 101
G. Trinken des Wassers 104
Zweiter Teil: Apotheke 109
Allgemeines und Einteilung 111
Tinktur oder Extrakt 115
Tee 115
Pulver 116
Öle 116
Heilmittel 117
Anhang 157
Rezept zur Bereitung des Kleienbrotes 157
Etwas über die Kraftsuppe 158
Bereitung des Honigweins 159
Inhalt einer kleinen Hausapotheke 169
Dritter Teil: Krankheiten 161
Nachtrag 351
1
Einleitung.
Kein Blatt am Baume ist dem andern absolut oder vollkommen gleich, viel weniger
ein Menschenschicksal dem andern. Könnte ein jeder vor seinem Sterben
sein Leben schreiben, es wären so viele verschiedene Lebensbilder als
Menschen selbst. Verworren sind die Wege, die in deinem Leben kreuz und quer
sich durcheinander verschlingen, - zuweilen gleich einem unentwirrbaren Knäuel,
bei dem die Fäden ohne Plan und Zweck ungeordnet aufeinander liegen.
So scheint es oftmals, in der Tat jedoch ist es niemals so. Das Licht des
Glaubens wirft seinen erhellenden Strahl in das wirre Dunkel und zeigt, wie
all die verschlungenen Pfade weisen Zwecken dienen und sämtliche auf
ein vom allweisen Schöpfer von Anfang an geplantes und gestecktes Ziel
hinführen. Wunderbar sind die Wege der Vorsehung.
Wenn ich von der Hochwarte des Alters aus die zurückgelegten Lebensjahre
überblicke und die Verschlingungen meiner Wege sehe, so schlängeln
diese einigemal scheinbar am Rande des Abgrundes; zuletzt aber münden
und führen sie gegen alle Hoffnung auf die Sonnenhöhe des Berufes,
und ich habe allen Grund, das liebevolle und weise Walten der Vorsehung zu
preisen, umsomehr, als die nach menschlichem Dünken schlimmen und zum
Tode führenden Pfade mir und unzähligen anderen den neuen Lebensquell
zeigten.
Ich war über 21 Jahre alt, als ich mit dem Wanderbuche in der Tasche
die Heimat verließ. Das Wanderbüchlein charakterisierte mich als
Webergesellen, doch seit meiner Kindheit Tagen stand es auf den Blättern
des Herzens anders geschrieben. Mit namenlosem Weh und sehnsüchtiger
Ausschau nach Verwirklichung meines Ideals hatte ich auf diesen Abschied lange,
lange Jahre gewartet,
2
ich wollte Priester werden. So ging ich, nicht wie man wünschte und hoffte,
das Weberschifflein weiter zu rudern, sondern ich eilte von Ort zu Ort und
suchte, ob ich niemanden fände, der mir zum Studium behilflich wäre.
Da nahm sich der nun verewigte Prälat Matthias Merkle ( 1881),
der damals Kaplan in Grönenbach war, meiner an, gab mir zwei Jahre hindurch
Privatunterricht und bereitete mich mit so unermüdetem Eifer vor, daß
ich schon nach diesen zwei Jahren ins Gymnasium aufgenommen werden konnte.
Die Arbeit war keine leichte und allem Anscheine nach eine vergebliche. Nach
5 Jahren der größten Entbehrung und Anstrengung war ich körperlich
und geistig gebrochen. Der Vater holte mich einst aus der Stadt, und noch
klingen mir die Worte des Wirtes in den Ohren, bei dem wir rasteten. Weber,
sagte er, dieses Mal holt Ihr den Studenten zum letztenmal. Der
Wirt war nicht der einzige, der so sprach; mit ihm teilten andere dieselbe
Ansicht. Ein damals berühmter Militärarzt galt als großer
Menschenfreund und als hochherziger Helfer armer Kranker. Im vorletzten Jahre
meiner Gymnasialzeit besuchte er mich 90 mal, im letzten Jahre wohl über
100 mal. So gerne hätte er mir geholfen; aber das fortschreitende Siechtum
siegte über seine ärztlichen Kenntnisse und seine stets opferbereite
Nächstenliebe. Ich selbst hatte längst alle Hoffnung aufgegeben
und sah mit stiller Ergebung meinem Ende entgegen.
Zur Unterhaltung und Zerstreuung blätterte ich gerne in Büchern.
Der Zufall - ich bediene mich dieses gebräuchlichen, aber vagen, d. i.
nichtssagenden Wortes; denn es gibt gar keinen Zufall - spielte mir ein unscheinbares
Büchlein in die Hand; ich öffnete es; es handelte von der Wasserheilkunde.
Ich blätterte hin und blätterte her; da stand Unglaubliches. Am
Ende, so blitzte ein Gedanke in mir auf, findest du gar deinen selbsteigenen
Zustand! Ich blätterte weiter. Richtig, das paßte, das stimmte,
das war fast bis aufs Haar getroffen. Welche Freude, welcher Trost! Neue Hoffnungen
elektrisierten den welken Leib und den noch welkeren Geist. Das Büchlein
wurde zuerst der Strohhalm, an den ich mich klammerte; nach kurzer Zeit war
es der Stab, auf welchen sich der Kranke stützte; heute gilt es mir als
das Rettungsboot, welches eine barmherzige Vorsehung mir zur rechten Zeit,
in der Stunde der höchsten Not sandte.
Das Büchlein, das von der Heilkraft des frischen Wassers handelt, ist
von einem Arzte geschrieben, die Anwendungen selbst sind größtenteils
sehr schroff und streng. Ich probierte 1/4
3
Jahr, 1/2 Jahr; ich fühlte keine wesentliche Besserung, aber auch nie
Nachteile. Das gab Mut. Es kam der Winter des Jahres 1849; ich war wieder
in Dillingen. Wöchentlich 2-3 mal suchte ich eine einsame Stelle und
badete einige Augenblicke in der Donau. Rasch war ich der Badestelle zugeeilt,
noch rascher marschierte ich nach Hause in die warme Stube. Schaden brachte
diese kalte Übung nie, Nutzen, wie ich meinte, nicht viel. Im Jahre 1850
kam ich in das Georgianum nach München. Da fand ich einen armen Studenten,
dem es noch viel schlimmer erging als mir selbst. Der Anstaltsarzt weigerte
sich, ihm zur Erlangung des für die Weihe notwendigen Tischtitels ein
Gesundheitszeugnis zu schreiben; denn, so lautete das Verdikt, er lebe nicht
mehr lange. Jetzt hatte ich einen lieben Kollegen. Ich weihte ihn ein in die
Mysterien (Geheimnisse) meines Büchleins, und wir beide probierten und
praktizierten um die Wette. Der Freund erhielt binnen kurzer Frist vom Arzte
das gewünschte Zeugnis und lebt heute noch. Ich selbst erstarkte mehr
und mehr, wurde Priester und lebe im hl. Berufe schon über 38 Jahre.
Meine Freunde schmeicheln mir und sagen, daß sie heute noch, wo ich
bereits 70 Jahre zähle, die Stärke meiner Stimme bewundern und über
meine Körperkräfte staunen. Ein treubewährter Freund blieb
mir das Wasser; wer kann es mir verargen, daß ich ihm gleichfalls treue
Freundschaft bewahre?
Wer selbst in Not und Elend saß, der weiß Not und Elend des Nächsten
zu würdigen.
Nicht alle Kranken sind in gleicher Weise unglücklich. Wer Mittel und
Wege besitzt, sich Heilung zu verschaffen, kann sich leicht mit einer kurzen
Leidenszeit versöhnen. Solche Kranke wies ich selbst in den ersten Jahren
zu Hunderten und Tausenden ab und ließ sie abweisen. Jener Arme bedarf
zumeist unseres Mitleids, welcher, selbst arm und verlassen, von den Ärzten
aufgegeben und von den Medikamenten und Heilmitteln verlassen ist. Leute dieser
Art zähle ich in großer Menge zu meinen Freunden; denn solche Arme
und gänzlich Verarmte, die nirgends mehr Hilfe bekamen, habe ich nie
abgewiesen. Hart, gewissenlos und undankbar wäre es mir vorgekommen und
käme es mir noch vor, solchen Verlassenen die Türe zu verschließen,
jene Hilfsquellen zu verweigern, welche mir selbst in meiner Not Heilung und
Rettung gebracht haben.
Die große Zahl der Leidenden, die noch größere Verschiedenheit
ihrer Leiden spornte an, die Wassererfahrung
4
zu bereichern, die Wasserheilmethode zu vervollkommnen.
Meinem ersten Wasserrate, dem bekannten Büchlein, bin ich für seinen
einleitenden Unterricht von Herzen dankbar. Doch bald schon erkannte ich,
daß manche Anwendungen zu schroff, für die menschliche Natur viel
zu stark und abschreckend sind. Roßkuren nannte man mit
Vorliebe die Wasserkur, und noch heutzutage lieben es viele, welche das beschimpfen,
was sie gar nicht kennen oder nicht gründlich kennen, alles nach Wasser
Schmeckende in Bausch und Bogen als Schwindel, Pfuscherei usw. zu bezeichnen.
Gerne gebe ich zu, daß manche Anwendungen und Übungen der noch
primitiven, d. h. erst entstehenden und noch unentwickelten Wasserkur eher
für ein starkmuskeliges und starkknochiges Roß paßten als
für ein von Fleisch weich umkleidetes und mit zarten Nervchen besaitetes
Menschengerippe.
Im Leben des berühmten Paters Ravignan S. J. kommt folgende Stelle vor:
Seine Krankheit, ein Halsübel, wurde durch die Anstrengung (der
Pater war ein berühmter Prediger, der in Paris, London und vielen anderen
großen Städten mit apostolischem Eifer seines Amtes waltete) verschlimmert
und ging bald in ein chronisches über.... Die Luftröhre war nur
mehr eine Wunde, die Stimme blieb erloschen und sein Organ wie erschöpft.
Zwei ganze Jahre (1846-1848) sollten in Untätigkeit und Leiden verfließen.
Kuren an verschiedenen Orten, Luftveränderung im Süden, welche folgten,
verliefen ohne Resultate. Im Juni des Jahres 1848 nahm Pater Ravignan Aufenthalt
bei Doktor K. R.... in dessen Landhaus im Tale zu B.... Eines Morgens nach
der Messe, zu der Stunde, die gewöhnlich alle Bewohner des Hauses vereinigte,
kündigte der Doktor den Versammelten mit besorgter Miene an, daß
Pater Ravignan sich leidender fühle und nicht zum Frühstück
kommen werde. Damit verschwand er auch selbst wieder,.... ging zu dem Kranken
und sagte ihm: Stehen Sie auf und folgen Sie mir! Aber wohin
führen Sie mich? antwortete letzterer. Ich will Sie ins Wasser
werfen! Ins Wasser? sagte Ravignan, mit dem Fieber,
mit dem Husten! Doch wohlan, es tut nichts, ich bin in Ihren Händen und
muß Ihnen gehorchen. Es handelte sich um ein sogenanntes Sturzbad,
ein gewaltsames, aber wirksames Mittel, wie der Biograph (Lebensbeschreiber)
sagt. Der Erfolg war ein augenscheinlicher. Schon zum Mittagessen brachte
der Doktor triumphierend seinen Kranken in gutem Wohlbefinden mit, und der
am
5
Morgen noch Stumme erzählte am Abende die Geschichte seiner Heilung.
Das nenne auch ich so eine kleine Roßkur, welche ich trotz ihres Erfolges
weder selbst nachahmen, noch zur Nachahmung empfehlen möchte.
An dieser Stelle muß ich es sagen, daß ich nicht alle an unseren
dermal bestehenden Wasserheilanstalten üblichen Anwendungen billige,
manchmal sogar entschieden mißbillige. Dieselben erscheinen mir viel
zu stark und - man verzeihe den Ausdruck - viel zu einseitig. Gar zu vieles
wird über denselben Leisten geschlagen, und viel zu wenig wird nach meinem
Dafürhalten unterschieden zwischen den verschiedenen Patienten, ihrer
größeren oder geringeren Schwäche, der mehr oder minder tief
eingesessenen Krankheit, deren mehr oder weniger weit fortgeschrittenen Verwüstungen
und Folgen usw. Darin gerade, in der Mannigfaltigkeit aller Anwendungen und
in der verschiedenartigen, jedem einzelnen Patienten durchaus angemessenen
Applizierung derselben Anwendung wird und muß sich der Meister zeigen.
Es kamen zu mir aus verschiedenen Heilanstalten Kranke, welche bitter klagend
sagten: Es ist nicht zum Aushalten, es hat mich förmlich ausgeworfen.
Das soll und darf nicht sein. Einst stellte sich mir ein gesunder Mann vor,
welcher behauptete, er habe sich beim Waschen in der Frühe verdorben.
Wie haben Sie es denn angestellt? fragte ich. Ich habe,
lautete die Antwort, eine Viertelstunde lang den Kopf unter das Brunnenrohr
gehalten, welches eiskaltes Wasser ausspie. Ein Wunder, wenn sich ein
derart Mutwilliger nicht gründlich verderben würde! Wir spotten
und lächeln über ein solch törichtes, unvernünftiges Verfahren.
Und doch wie viele, bei denen man voraussetzen mußte, daß sie
vernünftig das Wasser anzuwenden wissen, haben ebenso töricht, nach
meinem Dafürhalten noch törichter gehandelt und damit für immer
die Patienten vom Wasser zurückgeschreckt! Zahlreiche Beispiele können
meiner Behauptung als ebenso viele schlagende Belege dienen.
Ich warne vor jedem zu starken und vor jedem zu häufigen Anwenden des
Wassers. Der sonstige Nutzen des Heilelementes kehrt sich in Schaden, das
hoffende Vertrauen des Patienten in Furcht und Entsetzen.
30 Jahre lang habe ich sondiert und jede einzelne Anwendung an mir selbst
probiert. 3 Mal - ich gestehe es offen - sah ich mich veranlaßt, mein
Wasserverfahren zu ändern, die Saiten abzuspannen, von der Strenge zur
Milde, von großer Milde zu
6
noch größerer herabzusteigen. Nach meiner heutigen, bereits über
17 Jahre feststehenden und durch zahllose Heilungen erprobten Überzeugung
wendet jener das Wasser mit den vorteilhaftesten Wirkungen und sichersten
Resultaten an, welcher es in der einfachsten, leichtesten, schuldlosesten
Form zu gebrauchen weiß.
In welchen Formen ich das Wasser als Heilmittel benütze, das besagt der
erste Teil dieses Büchleins, welcher von den Wasseranwendungen, und der
dritte Teil, der von einzelnen Krankheiten handelt.
Im zweiten Teil (man lese dessen besondere Einleitung) habe ich den Landleuten
insbesondere einige Mittel für eine Hausapotheke zusammengestellt, welche
wie die Wasseranwendungen selbst im Innern des Körpers einen der drei
Zwecke: Auflösung oder Ausscheidung oder Kräftigung verfolgen.
An jeden Fremden, welcher bei mir Hilfe sucht, stelle ich vorerst einige Fragen,
um nicht voreilig und zu meinem Schaden zu handeln.
Auch dieses Büchlein schuldet noch in Kürze Antwort auf folgende
Fragen:
1. Was ist Krankheit, und aus welcher gemeinsamen Quelle fließen alle
Krankheiten?
Der menschliche Körper ist eines der wunderbarsten Gebilde aus der Schöpferhand
Gottes. Jedes Gliedchen paßt zum Gliede, jedes strenggemessene Glied
zum harmonischen, zu staunenswerter Einheit verbundenen Ganzen. Noch merkwürdiger
ist das Ineinandergreifen der Organe und ihre Tätigkeit im Innern. Selbst
nicht der ungläubigste Arzt und Naturforscher, auch für den Fall,
daß er mit der Lanzette und dem Sektiermesser noch keine Seele
gefunden, kann dem unnachahmlichen Menschengebilde die gerechteste und
höchste Bewunderung versagen. Der ganze innere und äußere
Mensch spielt nur die eine Weise: Alles an und in mir preise den Namen des
Herrn! - Dieser Wohlklang und diese Wohlordnung, Gesundheit genannt, wird
aufgehoben durch die verschiedenartigsten Störungen, durch die mannigfaltigsten
Eingriffe, welche man mit dem Namen Krankheit bezeichnet. Krankheiten
im inneren, Krankheiten, Leiden am äußeren Körper gehören
zu dem täglichen Brote, das die meisten Menschen mit Willen oder Widerwillen
kauen müssen.
All diese Krankheiten, welche Namen sie immer führen mögen, haben,
so behaupte ich, ihren Grund, ihre Entstehungsursache, ihr Würzelchen,
ihren Keim im Blute,
7
vielmehr in Störungen des Blutes, mag dieses nun in seiner im gesunden
Zustande geordneten Zirkulation gestört oder in seiner Zusammensetzung,
in seinen Bestandteilen, durch nicht dahin gehörige, schlechte Säfte
verdorben sein. Gleich wohlgeordneten Bewässerungsanlagen durchzieht
das Adernetz mit seinem roten Lebenssafte den ganzen Körper, alles, jeden
Teil, jedes Organ des Körpers in seiner ihm zuträglichen Art nährend,
befruchtend. Im Maße liegt die Ordnung; jedes Zuviel und jedes Zuwenig
im Tempo des Blutumlaufes, jedes Eindringen fremdartiger Elemente stört
den Frieden, die Eintracht, bewirkt Zwietracht, setzt an Stelle der Gesundheit
- Krankheit.
2. Wie erfolgt die Heilung?
An den Spuren im Schnee erkennt der geübte Jäger das Wild. Den Spuren
geht er nach, wenn er den Hirsch, die Gemse, den Fuchs erjagen will. Der tüchtige
Arzt weiß schnell, wo die Krankheit steckt, wo ihr Ursprung ist, welche
Ausdehnung sie genommen. Die Symptome zeigen ihm die Krankheit, diese bezeichnet
ihm die zu wählenden Mittel. Höchst einfach ist dieses Verfahren,
dieser Prozeß, möchte mancher sagen. Zuweilen ja, zuweilen auch
nicht. Wenn jemand mit erfrorenen Ohren zu mir kommt, so weiß ich, das
hat die Kälte getan; wer am Mühlstein sitzt und plötzlich wegen
zerquetschter Finger laut aufschreit, den werde ich nicht fragen, wo es denn
eigentlich fehle. Gar nicht so einfach verhält es sich schon mit ganz
gewöhnlichen Kopfbeschwerden oder gar mit Magen- oder Nerven- oder Herz-
und anderen Leiden, welche nicht nur einer mehr-, ja vielfachen Ursache entstammen,
sondern sehr oft von Leiden benachbarter Organe herrühren können,
welche Leiden den Magen, das Herz, die Nieren usw. schlimm beeinflussen, nachteilig
auf dieselben einwirken. Ein Strohhalm macht das Perpendikel der größten
Ganguhr stille stehen. Die kleinste Kleinigkeit vermag das Herz in die peinlichste
Unruhe zu versetzen. Die Kleinigkeit sofort zu finden, darin besteht die Kunst.
Diese Untersuchung kann oft sehr kompliziert, überaus verwickelt sein,
und die mannigfaltigsten Täuschungen sind nicht ausgeschlossen. Man wird
hiervon im dritten Teile dieses Buches Beispiele finden.
Wenn ich mit dem Fuße oder mit einer Axt an den Stamm einer jungen Eiche
schlage, so bebt der Stamm, es zittert jeder Ast, und es bewegt sich jedes
Blatt. Wie verkehrt, wollte ich schließen: das Blatt zittert, es muß
angegriffen, von irgend einem Gegenstande berührt worden sein. Nein,
weil der Stamm zittert, zittert auch der Ast und das Blatt als Teil und Teilchen
des Stammes.
8
Die Nerven sind solche Äste am Baume des Körpers. Er hat ein
Nervenleiden, die Nerven sind angegriffen. Was heißt das? Nein,
der ganze Organismus hat einen Schlag erhalten, ist geschwächt worden.
Deshalb zittern leider auch die Nerven.
Zerschneide vorsichtig mit der Schere einen vom Mittelpunkt zur Peripherie
(zum äußersten Kreis) laufenden Netzfaden des Kunstgewebes der
Spinne! Das ganze Netz fährt zusammen, die mit wunderbarer Genauigkeit
gesponnenen, wie mit dem Zirkel abgemessenen Vierecke und Dreiecke bilden
auf einmal die unregelmäßigsten, ungeordnetsten Figuren. Wie töricht,
wollte ich urteilen: Das ist ein verworrenes Ding, die Spinne muß sich
vergessen und beim Weben ihres Seidenhauses dieses Mal wesentliche Fehler
begangen haben. Spanne den kleinen Faden wieder an, und die frühere,
wundersame Ordnung ist augenblicklich hergestellt! Den einzigen winzigen Faden
suchen und finden, darin liegt die Kunst. Wer statt dessen im Gespinste herumtappt,
wird es ganz zerstören. Die Anwendung überlasse ich einem jeden
selbst und schließe nur mit der eigentlichen Antwort auf unsere Frage:
Wie einfach, unkompliziert und leicht, ich möchte sagen, fast jede Täuschung,
jeden Irrtum ausschließend ist die Heilung, wenn ich weiß, jede
Krankheit ruht in Störungen des Blutes! Die Arbeit der Heilung kann nur
die zweifache Aufgabe haben: entweder muß ich das ungeordnet zirkulierende
Blut wieder zum richtigen und normalen Laufe zurückführen, oder
ich muß die schlechten, die richtige Zusammensetzung des Blutes störenden,
das gesunde Blut verderbenden Säfte, Stoffe (Krankheitsstoffe) aus dem
Blute auszuscheiden suchen.
Eine weitere Arbeit, die Kräftigung des geschwächten Organismus
ausgenommen, gibt es nicht.
3. Auf welche Weise bewirkt das Wasser die Heilung?
Den Tintenfleck auf der Hand wäscht das Wasser schnell ab, die blutende
Wunde reinigt es aus. Wenn du im Sommer nach angestrengtem Tagewerk dir mit
frischem Wasser den verkrusteten Schweiß von der Stirne waschest, so
lebst du neu auf: es kühlt, kräftigt und tut wohl. Die Mutter gewahrt
auf dem Köpfchen ihres Kleinen Schuppen und festsitzende Krusten. Sie
nimmt warmes Wasser oder gar Lauge und löst die Unreinigkeiten auf.
Auflösen, ausleiten (gleichsam abwaschen), kräftigen, diese drei
Eigenschaften des Wassers genügen uns, und wir stellen die Behauptung
auf:
9
Das Wasser, speziell (im besondern) unsere Wasserkur heilt alle überhaupt
heilbaren Krankheiten; denn ihre verschiedenen Wasseranwendungen zielen darauf
ab, die Wurzeln der Krankheit auszuheben, sie sind imstande:
a) die Krankheitsstoffe im Blute aufzulösen;
b) das Aufgelöste auszuscheiden;
c) das so gereinigte Blut wieder in die richtige Zirkulation zu bringen;
d) endlich den geschwächten Organismus zu stählen, d. i. zu neuer
Tätigkeit zu kräftigen.
4. Woher stammt die Empfindsamkeit der jetzigen Generation, woher die auffallend
schnelle Empfänglichkeit für alle möglichen Krankheiten, welche
man, zum Teile wenigstens, früher nicht einmal dem Namen nach kannte?
Diese Frage würde mir gewiß mancher gerne schenken. Gleichwohl
erscheint sie mir von besonderer Wichtigkeit, und ich zögere nicht, zu
sagen, diese großen Uebelstände rühren vorzüglich her
von dem Mangel an Abhärtung. Die Verweichlichung der heutzutage lebenden
Menschen hat einen hohen Grad erreicht. Die Schwächlichen und Schwächlinge,
die Blutarmen und Nervösen, die Herz- und Magenkranken bilden fast die
Regel, die Kräftigen und Kerngesunden die Ausnahme. Man fühlt sehr
empfindlich jeden Wechsel der Witterung; der Übergang der Jahreszeiten
geht nie vor sich ohne Schnupfen und Katarrh; selbst der zu schnelle Eintritt
von der kalten Straße ins warme Zimmer bleibt nicht ungerächt usw.
usw. Das war doch vor 50, 60 Jahren noch ganz anders; wohin sollen wir kommen,
wenn, wie die allgemeine Klage der Besonnenen lautet, es mit der Menschenkraft
und dem Menschenleben so rapid, so auffallend schnell bergab geht, wenn das
Hinsiechen schon anfängt, ehe das kräftige Leben noch begonnen?
Es ist hohe Zeit, daß man endlich zur Einsicht komme.
Einen kleinen Beitrag zur Remedur (Heilung) solcher Notstände mögen
die wenigen schuld- und gefahrlosen Mittel bieten, welche ich zur Abhärtung
der Haut, des ganzen Körpers und einzelner Körperteile den Wasseranwendungen
beifüge. Es wurden diese Mittel bereits von zahllosen Personen aus allen
Ständen, von manchen mit anfänglichem kopfschüttelndem Lächeln
akzeptiert, später aber mit bejahendem Nicken und mit sichtlichen Erfolgen
praktiziert. Vivant sequentes!
Ebenso wichtige Kapitel wie über die Abhärtung wären zu schreiben
über die Ernährung, Kleidung und Lüftung. Davon
10
vielleicht ein andermal. Ich weiß, meine Sonderansichten werden auf
großen Widerspruch stoßen. Gleichwohl halte ich fest an denselben;
denn eine langjährige Erfahrung erst hat sie gereift. Es sind nicht Pilze,
die über Nacht im Gehirne aufschossen; es sind Edelfrüchte, manchem
eingefleischten Vorurteile hart und herb, einem gesunden Geistesmagen aber
vortrefflich mundend.
Es soll nur angedeutet werden, daß bezüglich der Ernährung
bei mir die Hauptregel lautet: Trockene, einfache, kräftige, nicht verkünstelte
und durch scharfe Gewürze verdorbene Hausmannskost und das unverfälschte
Getränk, das in jedem Quell der liebe Herrgott spendet, beides genügsam
gebraucht, ist dem Menschenkörper am besten und förderlichsten.
(Ich bin nicht Puritaner und gestatte gern ein Glas Wein oder Bier, lege demselben
aber durchaus nicht die allgemein beliebte Bedeutung bei. Vom medizinischen
Standpunkte aus, nach Krankheiten z. B., mögen diese Getränke zuweilen
eine Rolle spielen; in gesundem Zustande indessen lege ich dem Obste größere
Bedeutung bei.)
In der Bekleidung folge ich dem Grundsatze der Altvordern: Selbst gesponnen,
selbst gemacht, ist die beste Landestracht. Ich bin zunächst gegen die
auffallende Ungleichheit oder vielmehr ungleichmäßige Verteilung
der Bekleidung, zumal im Winter - ein großes Verderben für die
Gesundheit. Der Kopf hat seine Pelzmütze; der Hals die feste Halsbinde,
darüber den meterlangen Wollschlips; die Schultern tragen eine 3- bis
4fache Decke, beim Ausgehen noch den Überwurf oder gar den Pelzkragen;
die Füße allein, die armen, vernachlässigten Füße
bedecken wie im Sommer die Socken oder Strümpfe, die Schuhe oder Stiefel.
Was folgt aus dieser unvernünftigen Parteilichkeit? Das obere Umgebinde
und Umgewinde zieht, wie eine Pumpe das Wasser, Blut und Wärme in den
oberen Stock, die unteren Körperteile werden blutarm und kalt, Kopfweh,
Kongestionen, Erweiterung der Kopfadern, hundert Übelbefinden und Nöten
sind damit gelöste Rätsel. Im weiteren bin ich gegen die direkte,
unmittelbar den Leib berührende Wollbekleidung und für die Bekleidung
mit dem trockenen, festen, kernhaften, unverkünstelten Linnen oder Reisten.
Letzteres ist mir die liebste Haut auf der Haut, welche diese nie verweichlicht,
vielmehr ihr stets die besten Frottierdienste tut. Das vielzweigige, haarige,
fettige Wollgeflecht auf bloßem Körper (wie die Wolle meinen Zwecken
dient, sagt das Allgemeine zu den Wasseranwendungen) gilt mir als Säfte-
und Wärmesauger, als Mitursache der schrecklich
11
wuchernden Blutarmut unserer schwachen, elenden Generation. Das neueste Wollregime
in verbesserter Auflage wird dieser Blutarmut nicht ab- und dem Blute nicht
aufhelfen. Die jüngeren Leute können es erleben und das Regime überleben.
Ich komme an die Lüftung. Den Fischen, die aus Quellwasser kommen, insbesondere
den Gebirgsforellen geben wir bei weitem den Vorzug. Bachfische stellen wir
zurück, Fische aus Sümpfen und Mooren mit dem ekligen Geschmacke
schenken wir einem jeden. Es gibt auch eine Sumpf- und Moorluft. Wer sie einatmet,
füttert seine Lunge mit Pesthauch. Die Luft, zum dritten Male eingeatmet,
sagt ein berühmter Arzt, wirkt giftartig. Ja, wenn die Leute das verständen
und übten, in ihren Wohn- und insbesondere Schlafzimmern stets möglichst
reine, frische, sauerstoffhaltige Luft zu haben, viel Unwohlsein und viele
Krankheiten blieben ihnen erspart. Die reine Luft wird verdorben hauptsächlich
durch das Atmen. Wir wissen gar wohl, daß 1-2 Weihrauchkörnchen,
welche man auf der Glut vergehen läßt, ein ganzes Zimmer mit Wohlgeruch
erfüllen. Wir wissen auch, daß 15-20 Zigarren- oder Pfeifenzüge
hinreichen, einen großen Raum nach Tabaksqualm riechen zu machen. Das
Kleinste, Unbedeutendste reicht oft hin, die reine Luft in der einen oder
andern, angenehmen oder unangenehmen Weise zu verderben. Ist das Atmen nicht
einem solchen Rauche ähnlich?
Wie viele Atemzüge machen wir in einer Minute, in einer Stunde, bei Tag,
bei der Nacht!
Wie verdorben muß die reine Luft werden, wenn wir den Qualm auch nicht
sehen! Und wenn ich nicht lüfte, d. i. die schlimme, durch Kohlensäure
(lebensfeindliche Luft) verdorbene Atmosphäre nicht erneuere, welch verdorbene
und Verderben anrichtende Miasmen (Gestänke) werden in die Lunge einströmen?
Die Folgen können und müssen nun gleichfalls schlimme, schädliche
sein.
Wie Atmen und Ausdünstung, ebenso nachteilig wirkt auf die reine, gesunde
Lebensluft eine zu große Wärme, insbesondere eine zu große
Zimmerwärme. Auch sie macht die Luft schlecht und, da sie den Sauerstoff,
das die Luft belebende Element, verzehrt und tötet, zum Leben unfähig,
für das Einatmen schädlich. 12-14 Grad R. Wärme sind ausreichend,
15 Grad sollen nie überschritten werden.
Man sorge für gründliche Lüftung sämtlicher Wohn- und
Schlafräume und führe dieselbe täglich mit Konsequenz und Ausdauer
12
durch in einer Ordnung, wie sie niemanden belästigt, der Gesundheit eines
jeden nützt. Große Sorgfalt verwende man vor allem auf die Lüftung
der Betten.
Ich habe gesagt, was ich an dieser Stelle zu sagen für gut befand. Das
Gesagte genügt, ein Bild des anklopfenden Fremden zu geben; man möge
ihn entweder freundschaftlich einlassen oder ungehört von der Türe
weisen. Auf beide Arten des Empfanges bin ich gefaßt, und mit beiden
erkläre ich mich zufrieden.
13
Erster Teil
Wasser-Anwendungen
Aquae omnes.. laudent nomen Domini!
Ihr Wasser alle, preiset den Namen des Herrn!
15
Allgemeines.
Die von mir gebrauchten und in diesem ersten Teile beschriebenen Wasseranwendungen
teilen sich in
Aufschläger,
Bäder,
Dämpfe,
Gießungen,
Waschungen,
Wickelungen,
Trinken des Wassers.
Die Unterabteilungen einer jeden Anwendung enthält das erste Register.
Fremdklingende Übungen sind namentlich und sachlich an Ort und Stelle
erklärt.
Dem Wesen aller Krankheiten entsprechend, wonach diese durch Störungen
des Blutes, nämlich durch anormalen, fehlerhaften Blutumlauf oder durch
dem Blute beigemischte, verdorbene fremdartige Bestandteile, die Krankheitsstoffe,
entstehen, verfolgen die Wasseranwendungen den dreifachen Zweck:
des Auflösens,
des Ausscheidens der Krankheitsstoffe und
der Kräftigung des Organismus.
Im Allgemeinen kann gesagt werden, daß der erste Dienst des Lösens
von allen Dämpfen und den warmen Kräutervollbädern besorgt
wird; der zweite Dienst des Ausscheidens von sämtlichen Wickelungen,
zum Teil von den Gießungen und Aufschlägern; der dritte Dienst
der Kräftigung von allen kalten Bädern, allen Gießungen, zum
Teil von den Waschungen, endlich von dem gesamten Material der Abhärtung.
Ins einzelne kann und will ich an dieser Stelle, um nicht zu Mißverständnissen
Anlaß zu geben, nicht eingehen.
16
Da eine jede Krankheit in den oben angegebenen Blutstörungen wurzelt,
so leuchtet ein, daß auch in einem jeden Krankheitsfalle alle drei Arten
der Anwendung oder mit anderen Worten verschiedene Anwendungen vorkommen müssen,
welche mehr oder weniger auflösen, ausleiten und kräftigen; ferner,
daß nicht der kranke Körperteil allein, etwa der Kopf oder der
Fuß oder die Hand, in Behandlung kommt, sondern stets der ganze Körper,
den ja in solchem Falle krankes Blut durchströmt: die kranke Stelle mit
Vorzug und besonderer Berücksichtigung, der übrige Körper als
Mitleidender. Es wäre einseitig und gefehlt, in diesen zwei wichtigen
Punkten anders handeln zu wollen. Manche Beispiele im dritten Teile werden
meine Behauptung rechtfertigen.
Wer immer das Wasser, so wie ich es denke und wünsche, als Heilmittel
gebraucht, dem sind die Anwendungen niemals Selbstzweck, d. h. er wird nie
eine Anwendung vornehmen, weil es ihm jetzt gerade so gefällt; er wird
nie wie ein Tor Vergnügen daran haben, daß er mit recht vielem,
mit Dämpfen und Güssen und Wickeln, hantieren und prahlen
und wüten kann. Die Anwendungen werden einem Verständigen
stets nur Mittel zum Zweck sein. Erreicht er diesen durch das gelindeste Wässerchen,
er wird glücklich sein; denn seine Aufgabe ist ja nur, der nach Gesundheit
d. i. nach selbsteigener und selbständiger Tätigkeit ringenden Natur
zu dieser Freitätigkeit zu verhelfen, die Krankheitsbande, die Leidensketten
zu lösen, auf daß sie ungehindert und frisch und freudig alle Arbeit
wieder allein tue. Nach Vollendung dieser Aufgabe zieht der Heilende sofort
und gerne seine Hand zurück.
Diese Bemerkung ist wichtig, noch wichtiger das Darnachachten. Gar nichts
nämlich bringt das Wasser als Heilelement so sehr in Verruf und Mißkredit
als indiskretes, maß- und vernunftloses Anwenden, scharfes, strenges,
schroffes Verfahren. Diejenigen, ja allein diejenigen, ich kann es nicht oft
genug wiederholen, welche sich als Sachverständige im Wasserheilverfahren
aufspielen, aber mit ihrem endlosen Wickeln, ihren fast das Blut austreibenden
Dämpfen u. a. jeden Patienten abschrecken, richten den größten
Schaden an, der nur überaus schwer wieder gut zu machen ist. Ich heiße
das nicht das Wasser zu Heilzwecken gebrauchen, ich heiße solche Gewalttaten
- man verzeihe den Ausdruck - dem Wasser Schande antun.
Wer immer die Wirkungen des Wassers versteht und in seiner überaus mannigfaltigen
Art anzuwenden weiß, besitzt ein Heilmittel, welches von keinem anderen,
wie immer Namen habenden
17
Mittel übertroffen werden kann. Keines ist mannigfaltiger in der Wirkung,
sozusagen dehnbarer als das Wasser. In der Schöpfung beginnt es mit dem
unsichtbaren Luft- oder Dampfkügelchen, setzt sich fort im Tropfen und
schließt ab mit dem den größten Teil der Erde erfüllenden
Weltmeer. Das muß jedem Hydropathen ein Fingerzeig sein und jedem sagen,
daß eine jede Anwendung, mag sie Wasser in tropfbar oder dehnbar flüssiger
Form erfordern, der Steigerung von dem gelindesten bis zum höchsten Grade
fähig sei, daß in jedem Einzelfalle nicht der Patient sich nach
dem Wickel, dem Dampf usw., sondern jederzeit jedwelche Anwendung sich nach
dem Patienten zu richten habe.
In der Auswahl der zu treffenden Anwendungen zeigt sich der Meister. Der Heilende
wird den zu Heilenden ohne jede Auffälligkeit streng prüfen. Zuerst
werden die sekundären Leiden in die Augen springen, d. i. die Nebenkrankheiten,
welche wie Giftpilze aus dem innern Krankheitsboden hervorschießen.
Sie lassen in der Regel schnell auf den Herd der Krankheit, auf das Hauptleiden
schließen. Man frägt und sieht nach, wie weit die Krankheit vorangeschritten,
welches Unheil sie bereits angerichtet. Dann schaut man den Patienten an,
ob er alt oder jung, schwach oder stark, mager oder korpulent, ob er blutarm,
nervös usw. sei. All diese Punkte und noch andere mehr zeichnen in den
Geist das richtige Krankenbild, und erst wenn dieses klar und fertig ist,
greift man in die Wasserapotheke und wendet an nach dem Grundsatze: Je gelinder,
je schonender - desto besser und wirksamer.
Im allgemeinen mögen an dieser Stelle noch folgende Bemerkungen Platz
finden, welche die sämtlichen Wasseranwendungen angehen.
Keine wie immer Namen habende Anwendung kann schaden, wenn dieselbe in der
vorschriftsmäßigen Weise genommen wird.
Die meisten derselben geschehen mit kaltem Wasser, sei es Brunnen-, Quell-,
Flußwasser o. a. In allen Fällen, in denen nicht extra warmes Wasser
verordnet ist, gilt der Ausdruck Wasser stets nur von kaltem Wasser.
Dabei folge ich dem Erfahrungsgrundsatze: je kälter, desto besser. Zur
Winterszeit mische ich für Gesunde in das zu Güssen bestimmte Wasser
noch kältenden Schnee. Man werfe mir nicht Schroffheit vor; denn man
bedenke die überaus kurze Dauer meiner Kaltwasseranwendungen. Wer es
einmal gewagt hat, hat es für immer gewonnen, alle Vorurteile sind ihm
benommen. Indessen bin ich nicht unerbittlich.
18
Anfängern in der Wasserkur, schwächlichen, insbesondere ganz jungen
und älteren, hochbetagten Personen; Kranken, welche das Kalte zurückschreckt;
Leuten, welche wenig Naturwärme haben; Blutarmen und Nervösen gönne
ich namentlich zur Winterszeit zum gewärmten Bad- und Gießraume
(14-15°C.) mit Freuden für den Beginn laues, abgeschrecktes
Wasser zu einer jeden Anwendung. Die Fliegen locke ich ja auch mit Honig,
nicht mit Salz oder Essig.
Die warmen Anwendungen erhalten in jedem einzelnen Falle bezüglich der
Wärmegrade, der Dauer usw. genaue, spezielle Vorschriften. Die Wärmegrade,
mit R. bezeichnet, bedeuten stets Réaumur.
Betreffs der kalten Anwendungen schulde ich (im dritten Teile ist dieser Punkt
oftmals betont und des weitern erörtert) in Kürze noch einige Winke,
welche das Verhalten vor, während und nach der Anwendung regeln.
Niemand wage es, bei Kältegefühl, Frösteln usf. irgend eine
kalte Anwendung vorzunehmen, wenn dieses an der betreffenden Stelle nicht
extra erlaubt ist. Die Anwendung soll tunlichst schnell (jedoch ohne Angst
und Hast) vorgenommen werden; auch beim Aus- und Ankleiden sollen durchaus
keine Verzögerungen eintreten, z. B. durch langsames Zuknöpfen,
Binden. All diese Nebenarbeiten können geschehen, wenn der ganze Körper
einmal ordentlich bedeckt ist. Ein kaltes Vollbad soll, um ein Beispiel anzuführen,
zum Auskleiden, Baden und Ankleiden die Zeit von 4-5 Minuten nicht übersteigen.
Es bedarf dazu nur einiger Übung. So oft bei einer Anwendung steht: 1
Minute, [1] soll damit die kürzeste Zeitdauer ausgedrückt
werden; wenn es heißt 2-3 Minuten, so soll die Kälte wohl nachhaltiger,
aber doch nicht länger einwirken.
Nach keiner wie immer Namen habenden kalten Anwendung wird (außer dem
Kopfe und den Händen bis zur Handwurzel - letzteres, um beim Anziehen
der Kleider diese nicht naß zu machen) der Körper je abgetrocknet.
Den nassen Körper bedeckt man sofort mit dem trockenen Hemde und den
andern Kleidungsstücken; man tut dieses möglichst schnell, wie gesagt
wurde, um tunlichst bald alle nassen Stellen luftdicht abzuschließen.
Dieses Verfahren erscheint manchen, ja den meisten eigentümlich, da sie
meinen, sie müßten jetzt den ganzen Tag naß herumlaufen.
Bevor
19
sie ein Urteil fällen, mögen sie es nur einmal probieren. Sie werden
es alsbald fühlen, wozu das Nichtabtrocknen taugt und gut ist. Das Abtrocknen
ist ein Reiben und erzeugt, da es unmöglich an allen Stellen auf ganz
gleichmäßige Weise geschehen kann, ungleichgradige Haut- und Naturwärme,
was bei Gesunden wenig, bei Kranken und Schwachen oft sehr viel zu bedeuten
hat. Das Nichtabtrocknen verhilft zu der geordnetsten, gleichmäßigsten
und schnellsten Naturwärme. Es geschieht gleichsam, wie wenn man Wasser
ins Feuer spritzt. Die innere Körperwärme benützt das am äußeren
Körper anklebende Wasser als Material zu rascher Bildung intensiverer,
größerer Wärme. Wie gesagt, nur auf eine Probe kommt es an.
Dagegen verordne ich strenge, daß der Angekleidete nach jeder Wasseranwendung
sich Bewegung mache (geschehe es durch Arbeit oder Spazierengehen), welche
so lange dauere, bis alle Teile des Körpers vollkommen trocken und normal
warm sind. Im Beginne der Bewegung kann man etwas rascher gehen, nach Eintritt
der Wärme langsamer. Man fühlt selbst am besten, wann die normale
Körperwärme eingetreten ist und die Bewegung, das Gehen aufhören
kann. Solche Patienten, welche schnell erhitzt sind und leicht in Schweiß
kommen, sollen gleich von Anfang an langsamer und eher etwas länger gehen
und ja nicht schwitzend oder erhitzt sich setzen, selbst nicht im warmen Zimmer.
Ein Katarrh wäre die unausbleibliche Folge.
Als Regel für alle kann gelten, daß die Minimalzeit, die kleinste
Zeit der Bewegung nach einer Anwendung stets eine Viertelstunde betragen soll.
Wie dieselbe ausgefüllt werde (durch Gehen, körperliche Arbeit usw.),
bleibt sich, wie gesagt, gleich.
Diejenigen Anwendungen, welche das Bett vorschreiben, vornehmlich die Aufschläger
und die Wickelungen, enthalten diese Notiz an Ort und Stelle, ebenso das einer
jeden besonderen Übung Eigenartige. Wer bei einer solchen Anwendung einschläft,
den soll man im Frieden schlafen und ruhen lassen, selbst wenn die vorgeschriebene
Zeit vorüber ist. Wie beim kleinsten und größten Bedürfnis,
versieht auch hier die Natur selbst die besten und genauesten Weckuhrdienste.
Sind Tücher notwendig, so verstehe ich darunter niemals feine Leinwand,
sondern körniges, wo möglich gröberes Reisten. Wenn einfache
arme Leute statt dessen nur abgenützten Zwillich (Zwilch), einen hänfenen
Kaffeesack oder noch Ärmere einen weichen Rupf o. a. zur
Hand haben, so sind sie nicht im Nachteil. Zum Abwaschen des Körpers,
was oft vorkommt, taugt ebenfalls am besten ein ziemlich grobes, linnenes
oder hänfenes Tuchstück.
20
Aus Gründen, welche ich in der Einleitung kurz andeutete, bin ich gegen
die Wolle als Kleidungsstück auf bloßer Haut. Dagegen dient mir
der Wollstoff vorzüglich als Umhüllung, z. B. des eiskalten Wickels.
Er entwickelt rasche und reichliche Wärme und steht in dieser Beziehung
unübertroffen da. Aus dem gleichen Grunde empfehle ich bei solchen Anwendungen
das Federbett als Zudecke.
Das sogenannte Frottieren, ob es nun durch Reiben oder Bürsten oder sonst
einen Gewaltakt geschehe, findet bei meinen Anwendungen keine Stelle. Den
einen Zweck desselben, der im Erwärmen besteht, erfüllt bei mir
gleichmäßiger und egaler das Nichtabtrocknen; den andern, nämlich
die Öffnung der Poren, die Steigerung der Hauttätigkeit usw., besorgt
das grobe Linnen- oder Reistenhemd, wieder mit dem Vorteile, daß dieses
nicht wie die Bürste minutenlang, sondern bei Tag und bei Nacht, ohne
Opfer von Zeit und Kraft arbeitet. Wenn an manchen Stellen von kräftiger
Abwaschung die Rede ist, so verstehe ich darunter lediglich ein schnelles
Abwaschen der ganzen zu behandelnden Stelle. Das Naßwerden, nicht das
Geriebenwerden ist die Hauptsache.
Ein Punkt möge hier noch erwähnt werden. Die Anwendungen am Abende,
in der Zeit vor dem Schlafengehen, behagen den meisten Menschen nicht, sie
werden dadurch aufgeregt, gleichsam aus dem beginnenden Schlafe gerüttelt.
Andere dagegen wiegt eine gelinde Abendanwendung in sanften Schlaf. Ich empfehle
solche Anwendung im allgemeinen nicht, rate indessen einem jeden, er möge
in diesem Stücke nach seinem Gutdünken, nach seinen Erfahrungen
handeln, da ja er allein auch die Folgen zu tragen haben wird.
Bezüglich der speziellen Kenntnisse für eine jede besondere Anwendung
verweise ich auf den ganzen ersten Teil, bezüglich des Gebrauches derselben
für Kranke insbesondere auf den dritten Teil dieses Büchleins. Daselbst
ist auch angegeben, welche Anwendungen für sich allein als sogenannte
ganze, und welche nur als Teilanwendungen, d. h. als solche, welche nur in
Verbindung mit anderen auftreten, zu gelten haben, ebenfalls, welche der Anwendungen
(Dämpfe) besondere Vorsicht erheischen.
Ich schließe diesen allgemeinen Teil mit dem Wunsche, daß durch
die Wasserübungen recht viele Gesunde noch mehr erstarken und recht viele
Kranke genesen mögen, und beginne vorerst mit einer kurzen Aufzählung
der Abhärtungsmittel, sodann mit der eigentlichen Abhandlung über
die bei mir im Gebrauche stehenden Wasseranwendungen.
21
Abhärtungs-Mittel.
Als Abhärtungsmittel nenne ich:
1. das Barfußgehen;
2. das Barfußgehen im nassen Grase;
3. das Barfußgehen auf nassen Steinen;
4. das Barfußgehen im neugefallenen Schnee;
5. das Barfußgehen im kalten Wasser;
6. das Kaltbaden der Arme und Beine (Füße);
7. den Knieguß (mit oder ohne den Oberguß).
1. Das natürlichste und einfachste Abhärtungs-Mittel besteht
im
Barfußgehen.
Dieses kann entsprechend den verschiedenen Ständen und Lebensaltern auf
die mannigfaltigste Weise geübt werden.
Ganz kleine Kinder, welche noch gänzlich auf die Hilfe anderer angewiesen
und in die Windeln, ins Tragkissen, ans Zimmer gebannt sind, sollen wo möglich
nie eine Fußbekleidung tragen. Könnte ich doch dieses allen Eltern,
besonders den allzubesorgten Müttern, als Kanon, als feststehende, unumstößliche
Regel tief einprägen! Mit Vorurteilen behaftete Eltern, die sich dazu
nie verstehen wollen, mögen sich der kleinen Unbeholfenen erbarmen und
zum mindesten für eine solche Fußbekleidung sorgen, durch welche
die frische Luft leicht auf die Haut dringen kann.
Kinder, welche bereits stehen und gehen können, wissen sich schon selbst
zu helfen. Ohne alle Menschenrücksichten werfen sie die lästigen,
die Füße quälenden Schuhe und Strümpfe von sich und sind
ganz glückselig, besonders zur Frühjahrszeit, wenn man sie
22
sich frei herumtummeln läßt. Manchmal blutet eine Zehe; doch das
hält sie nicht ab, bald wieder barfuß zu gehen. Die Kinder tun
dieses ganz instinktiv, einem gewissen Naturtriebe folgend, den wir Alte auch
verspüren würden, wenn die überfeinerte, schablonierende, Schraubstockdienst
tuende, alles Natürliche wegdrechselnde Bildung uns nicht vielfach allen
gesunden Sinn genommen hätte.
Die Kinder der Armen werden in ihrem Vergnügen selten gestört. Weniger
vom Glücke begünstigt sind die Kinder der Vornehmen und Reichen,
und sie fühlen wahrlich das Bedürfnis nicht weniger als ihre Kameraden
aus armem Stande. Ich sah einst die Knaben eines hohen, angesehenen Beamten.
Kaum glaubten sie sich aus der Schußweite der durchdringenden Augen
des gestrengen Herrn Papa, da flogen auch schon die feinen Schühchen
und die noch feineren roten, gelben, weißen Strümpfchen über
alle Hecken, und fort gings im Galopp über die saftig grüne
Wiese. Die Mama, eine Frau mit gesundem Sinne, sah dies nicht ungern; erblickte
aber zufällig der Papa seine Prinzen in solchem ungehörigen Aufzuge,
dann gab es lange Strafpredigten und noch längere Standesunterweisungen
über Unbildung und Bildung und Standesgefühl und Standesehre. Das
ging den Kleinen so zu Herzen, daß sie anderen Tags noch munterer barfuß
im Grase hüpften. Nochmals sage ich: lasse man wenigstens den noch nicht
verbildeten Kindern ihre Freude!
Einsichtige Eltern, welche solches gern gestatten wollten, aber in der Stadt
leben und keinen einsamen Garten oder Rasenplatz besitzen, können den
Kleinen das Barfußgehen zu gewissen Zeiten in irgendeinem Zimmer, auf
irgend einem Gange usw. gestatten, wenn nur die Füße wie Gesicht
und Hände zuweilen einmal frei aufatmen, nach Fußeslust frische
Luft einsaugen, sich in ihrem Elemente bewegen können.
Erwachsene Leute der ärmeren Klassen, insbesondere auf dem Lande, brauche
ich nicht zu ermahnen; dieselben gehen viel barfuß und beneiden nicht
den reichsten Städter um seine vornehmen, ausgeschnittenen oder nicht
ausgeschnittenen, lackierten oder geschnürten Fußfoltern, die pressenden
und die Füße fesselnden Schuhe und Strümpfe. Törichte
Landleute mit städtischen Manieren, die sich schämen, es den Ihrigen
gleichzutun, sind durch ihren Eigendünkel gestraft genug; die altmodischen
Konservativen sollen an der guten Tradition treu festhalten. In meiner Jugendzeit
ging auf dem Lande alles barfuß: Kinder und Erwachsene, Vater und Mutter,
Bruder und Schwester. In die Schule, zur Kirche waren die Wege
23
stundenweit; die Eltern gaben uns ein Stück Brot und einige Äpfel
zur Reisezehrung, so auch Schuhe und Strümpfe als Fußbekleidung.
Doch diese hingen wir bis zum Eintritt in die Schule oder in die Kirche über
die Arme oder über die Achsel, nicht allein zur Sommers-, sondern auch
in der kälteren Jahreszeit. Kaum machte im beginnenden Frühling
auf der Höhe meiner Heimat der Schnee Miene, sich zurückzuziehen,
da traten unsere bloßen Füße schon ihre Spuren in den mit
seinem Wasser getränkten Boden, und wir fühlten uns froh, heiter
und gesund dabei.
Erwachsene in den Städten, gar solche, welche besseren, ja den vornehmen
Ständen angehören, können dieser Übung sich nicht unterziehen,
das ist klar. Wenn sie in ihrem Vorurteile bereits soweit gekommen sind, daß
sie meinen, sie könnten, wenn ihre zarten Füße beim Aus- und
Ankleiden nur einen Augenblick auf dem bloßen Boden des Salons, nicht
auf warmen, weichen Teppichen stehen, Rheumatismus, Katarrh, Halsleiden oder
ähnliches sich zuziehen, so lasse ich sie vollkommen ungestört.
Wenn aber manche doch etwas tun und sich abhärten wollten, was hindert
sie, abends unmittelbar vor dem Schlafengehen oder in der Frühe beim
Aufstehen 10 Minuten, ¼ Stunde, ½ Stunde lang eine derartige
Promenade zu machen? Dieselbe könnte die ersten Male, damit der plötzliche
Beginn nicht zu stark empfunden wird, in den Strümpfen, später mit
bloßen Füßen und noch später barfüßig also
geschehen, daß vor dem Zimmer-Spaziergange die Füße bis über
die Knöchel einige Augenblicke in kaltes Wasser getaucht werden.
Bei guter Einteilung, bei gutem Willen, bei wahrem Streben nach Erhaltung
seiner Gesundheit wird ein jeder, selbst der Vornehmste, selbst der in seinem
Berufe Angestrengteste noch so viel Zeit gewinnen, um sich selbst diese Wohltat
zu spenden.
Ein mir sehr gut bekannter Priester ging jedes Jahr auf mehrere Tage zum Besuche
eines guten Freundes, welcher einen größeren Garten besaß.
Der Morgenspaziergang galt stets diesem Garten, dessen durch Tau genäßtes
Gras so lange die bloßen Füße labte und den Körper erquickte,
als der Geist mit dem Breviergebet beschäftigt war. Gar oft hielt dieser
Herr Lobreden auf die vortrefflichen Wirkungen des Barfußgehens.
Eine Reihe Namen von Personen der höheren und höchsten Stände
stünde mir zu Gebote, die den wohlmeinenden Ratgeber nicht verachteten
und zu guter Jahreszeit bei Morgengängen im einsamen Walde oder auf abgelegener
Wiese durch Barfußgehen sich abzuhärten suchten.
24
Einer aus dieser verhältnismäßig noch immer sehr kleinen Zahl
gestand mir, er habe im Jahre selten eine Woche erlebt, ohne einen wenn auch
nur kleinen Katarrh. Diese überaus einfache Übung habe ihn für
immer von dieser Empfindsamkeit und Empfänglichkeit befreit.
Den Müttern widme ich an dieser Stelle noch ein besonderes Wort. Es kann
kurz sein; denn an anderer Stelle habe ich versprochen, ihnen, wenn Gott mir
Leben und Gesundheit schenkt, später einmal einige praktische Winke für
eine gute, hauptsächlich den Leib betreffende Erziehung zu geben. Die
Mütter sind in erster Linie dazu berufen, für die Heranbildung eines
stärkeren, widerstandsfähigeren Geschlechtes zu sorgen, die wuchernde,
so arge Lücken in die menschliche Gesellschaft reißende Verweichlichung,
Entkräftung, Blutarmut, Nervosität und wie alle die Lebenssauger
und Lebensabkürzer heißen, beseitigen zu helfen. Das geschieht
durch Abhärtung, durch weise Abhärtung des Kindes vom zartesten
Alter an. Luft, Nahrung, Kleidung sind Bedürfnisse, welche der Säugling
ebenso notwendig braucht als der Greis. Sie bilden zugleich das Gebiet der
Abhärtung. Je reiner die Luft ist, welche das Kleine einatmet, desto
besser das Blut. Um dieses schwache Geschöpflein recht schnell an den
Aufenthalt in frischer Luft zu gewöhnen, tun diejenigen Mütter gut,
welche nach den täglichen warmen Bädern das Kleine 2-3 Sekunden
in kälteres, wie von der Sonne erwärmtes Wasser tauchen oder es
rasch kalt abwaschen. Das warme Wasser allein macht schlaff und verweichlicht,
die abschließende kalte Waschung stärkt, härtet ab und sichert
eine gesunde Körperentwicklung. Die anfänglichen Zeichen einer weinerlichen
Empfindsamkeit werden bei der dritten oder vierten Anwendung von selbst ausbleiben.
Diese Abhärtung stählt die noch ganz kleinen Kinder gegen die so
häufigen Erkältungen und deren Folgen und erspart den Müttern,
welche diesen Übelständen vorbeugen wollen, die jeden denkenden
Menschen wahrhaft entsetzenden Einmummungen und Einhüllungen in Wolle
und andere schwere, jeden Luftzutritt hindernde Stoffe. In diesem Stücke
wird furchtbar gegen die kleinen Gesundheiten gesündigt. Die zarten Körperchen
stecken in förmlich verbrennenden Wollöfen: der kleine Leib keucht
unter der Last der Binden und Decken, das Köpfchen ist eingepuppt, daß
ihm Hören und Sehen vergehen müssen, der vor allem abzuhärtende
Hals trägt außer den allgemeinen noch besondere Wärmemittel,
die ihn gegen die äußere Luft vollends abschließen. Schon
wenn der oder die Kleine auf dem Arme des Kindsmädchens ruht, um ausgetragen
oder ausgefahren zu werden, sieht die verzärtelnde Mama nochmals nach,
ob ja jedes Winkelchen
25
und jede Ecke sorglichst verschlossen sei. Wem darf es bei solchen Umständen,
bei diesem gänzlichen Mangel der leisesten Spur von rationellem Abhärtungssinne
wundern, wenn Diphtheritis, Halsbräune usw. jährlich eine unzählbare
Schar der kleinen, ich möchte sagen jedem Windhauche erliegenden Wesen
hinwegraffen? wenn viele Familien von Schwächlingen gleichsam wimmeln?
wenn die Mütter über hektische, krampfhafte und andere, früher
fast unbekannte Zustände, insbesonders bei den Mädchen, tägliche
Klage führen? Und wer erst vermöchte die geistigen Gebrechen zu
zählen, diese tauben Blüten und faulen Früchte eines Körpers,
welcher vor der normalen Entwicklung und Kräftigung schon sein langsames
Siechtum beginnt? Mens sana in corpore sano. Eine gesunde Seele wohnt nur
in einem gesunden Körper. Eine Hauptvorbedingung der Entwicklung einer
ausdauernden Gesundheit bildet die frühzeitigste Abhärtung. Daß
alle Mütter ihre diesbezügliche Aufgabe und Verantwortung früh
genug und tief erfaßten und keine Gelegenheit versäumten, aus guten
Quellen sich guten Rat zu holen!
2. Eine besondere, überaus wirksame Art des Barfußgehens
ist das
Gehen im nassen Grase,[2] gleichviel, ob dieses durch Tau,
Regen oder Wasseraufguß genäßt sei. Im dritten Teile wird
man dieser Abhärtungsübung sehr oft begegnen, und ich kann dieselbe
jung und alt, Gesunden und Kranken, unbehindert jeder anderen Anwendung, bestens
empfehlen.
Je nässer das Gras ist, je länger die Übung fortgesetzt und
je öfter dieselbe wiederholt werden kann, desto vorzüglicher wird
der Erfolg sein. In der Regel dauert der Graslauf 1-3 Viertelstunden.
Nach vollendeter Fußpartie werden alle nicht an die Füße
gehörigen Anhängsel, wie Laubgras oder Sand, rasch abgewischt, die
Füße indessen nicht abgetrocknet, sondern in statu quo d. i. naß
wie sie sind, sofort mit trockener Fußbekleidung versehen. Auf das Gehen
im Grase folgt jetzt ein Gehen mit bekleideten Füßen auf trockenem,
mit Sand oder Stein bedecktem Wege, im Beginne etwas schneller, allmählich
im gewöhnlichen Tempo. Die Dauer des Gehens hängt ab von dem Trocken-
und Warmwerden der Füße und dürfte eine Viertelstunde nicht
übersteigen.
Ich ermahne dringend, die Worte trockene Fußbekleidung wohl
zu bemerken und niemals sich nach dieser Anwendung
26
nasser, angefeuchteter Strümpfe zu bedienen. Die Folgen würden sich
in Kopf und Hals bald schon melden; das hieße nicht aufbauen, sondern
einreißen. Es dürfte angemessen sein, junge, schnelle, unbesonnene
Leutchen an die Vorsicht zu mahnen, die ausgezogenen Schuhe und Strümpfe
nicht ins nasse Gras zu werfen, sondern im Trockenen bereitzuhalten, daß
sie später die naßkalten Füße warm empfangen und bald
wieder in die gehörige Wärme bringen. Diese Übung, wie das
Barfußgehen überhaupt, kann vorgenommen werden, selbst wenn die
Füße kalt sind.
3. Dem Gehen im nassen Grase kommt in der Wirkung ziemlich gleich das
Gehen auf nassen Steinen, das vielen bequemer und leichter ist. Jedes
Haus und Häuschen hat im Parterre oder in einem Stockwerke, in der Waschküche
oder Backküche usw. ein größeres oder kleineres Steinpflaster;
beide genügen zu unserem bloßfüßigen Spaziergange auf
nassen Steinen. Im langgestreckten Steingange wird man mit beflügeltem
Schritte hin- und herwandern, auf dem Fleckchen von 4-5 Steinplatten wird
man die Steine treten, wie der Winzerbube die Trauben, wie an manchem Orte
der Bäckerlehrling den Teig tritt. Die Hauptsache besteht lediglich darin,
daß die Steine naß sind, und daß man nicht ruhig auf denselben
stehe, sondern in ziemlich rascher Bewegung gehe. Zum Benetzen der Steine
nimmt man am besten eine Gießkanne oder einen Krug, zieht eine den Raumverhältnissen
entsprechend dicke Wasserlinie, welche man durch das Treten erweitert. Sollten
die Steine rasch trocknen, so müßte das Aufgießen ein-, zuweilen
zwei- bis dreimal erneuert werden; hierbei dient das kälteste Wasser
am vorzüglichsten.
In Fällen, in denen dieses Abhärtungsmittel zu Heilzwecken verwendet
wird, darf seine Anwendungszeit die Dauer von 3-15 Minuten nicht überschreiten.
Diese wird sich richten nach dem Zustande des Patienten, ob er stärker
oder schwächer, blutarm usw. sei; in der Regel dürften 3-5 Minuten
ausreichen. Als reines Abhärtungsmittel von Gesunden kann die Übung
bis zu einer halben Stunde und noch länger ohne Schaden ausgedehnt werden.
Ich empfehle sie allen jenen, welche eine solide Abhärtung beginnen wollen.
Selbst der Schwächste und Empfindlichste möge sich nicht abschrecken
lassen!
Wer an kalten Füßen leidet, Halsbeschwerden, Katarrhen leicht zugänglich
ist, Blutandrang zum Kopfe und von letzterem
27
erzeugtes Kopfweh hat, trete oft diese Steinwanderung an. Er tut gut, wenn
er dem aufzugießenden Wasser etwas Essig beimischt.
Für die Bekleidung und Bewegung gelten dieselben Regeln wie beim Gehen
im Grase. Wie letzteres, so kann auch das Steingehen mit kalten (vor der Übung
nicht warmen) Füßen geschehen.
4. Größere Wirkung als durch die beiden vorhergehenden Übungen
wird erzielt durch das
Gehen im neugefallenen Schnee. Wir bemerken
ausdrücklich: im neugefallenen, frischen Schnee, der sich ballt oder
wie Staub den Füßen anlegt, nicht in altem, starrem, festgefrorenem
Schnee, welcher zu empfindlich kältet und nichts taugt. Zudem soll diese
Wanderung nie angetreten werden bei schneidend kaltem Winde, wohl aber, wenn
bei der Frühlingssonne der Schnee schmilzt. Ich kenne manchen, der in
solcher Schneesulze ½, eine ganze Stunde, ja 1½ Stunden mit
den besten Erfolgen herumspazierte. Eine kleine Überwindung kosteten
nur die ersten Minuten des Beginnes: später zeigte sich von Unbehagen
oder besonderer Kälte keine Spur mehr. Die regelmäßige Dauer
dieses Schneeganges ist 3-4 Minuten. Ich betone ausdrücklich: es darf
nicht stille gestanden, es muß gegangen werden.
Zuweilen kommt es vor, daß gar zu zarte, der äußern Luft
ganz entwöhnte Zehen die Schneekälte nicht ertragen können
und Schneefieber bekommen, d. i. trocken, heiß werden, schmerzhaft brennen
und aufschwellen. Man erschrecke nicht, die Sache hat keine Bedeutung, und
die Heilung erfolgt schnell, wenn man die trockenen Zehen öfters mit
Schneewasser tränkt oder mit Schnee leicht reibt.
Die Schneetour kann im Herbste z. B. ersetzt werden durch einen Gang im Grase
mit Reif. Das Kältegefühl ist hier viel empfindlicher, da der Körper
in dieser Übergangszeit noch zu wenig der Sommerwärme entwöhnt
ist. Im Winter selbst vertritt den Schneegang ein Gang auf Steinplatten, welche
mit Schneewasser getränkt wurden. Bezüglich des Ankleidens und der
Bewegung lese man die bei den vorhergehenden Nummern angegebenen Regeln.
Das sind Torheiten, Narrheiten usw., so lauten in der Regel die Empfehlungen
gerade dieser Abhärtungsübung, von der man Erkältungen, Rheumatismen,
Halsleiden, Katarrhe, alles Mögliche fürchtet. Es kommt alles nur
auf eine Probe und kleine Überwindung an; man wird sich bald überzeugen,
wie unbegründet
28
die Vorurteile sind, und wie der schreckliche Schneegang statt der Nachteile
große Vorteile bringt.[3]
Vor vielen Jahren kannte ich eine höhere Beamtenfrau. Die energische
Mutter hielt große Stücke auf die Abhärtung ihrer Kinder;
wählerisches Verfahren beim Essen oder Trinken wurde durchaus nicht geduldet,
Klagen über Witterung, Wärme, Kälte usw. stets gerügt.
Sobald der erste Schnee fiel, versprach sie den Jungen Butterbrot mit Honig,
wenn sie es wagten, eine Weile es barfuß mit dem Schnee aufzunehmen.
So tat sie lange Jahre; die Kinder erstarkten, strotzten von Kraft und waren
ihr ganzes Leben überaus dankbar für diese nichts weniger als weichliche
Erziehung. Diese Mutter hat ihre Aufgabe vortrefflich verstanden.
Das wäre der Schneelauf von Gesunden; es folgen zwei Fälle, welche
zeigen sollen, wie erfolgreich man ihn bei manchen Leiden anwendet.
Eine Person litt viele Jahre hindurch zur Winterszeit an Frostbeulen, welche
aufbrachen, eiterten und große Schmerzen verursachten. Im ersten Herbstschnee
fing sie, meinem Rate folgend, die Schneegänge an, wiederholte dieselben
öfters und blieb von den lästigen Beulen gänzlich verschont.
Erst kürzlich kam ein 17jähriges Mädchen zu mir und klagte
über heftige Zahnschmerzen. Gingest du fünf Minuten im neugefallenen
Schnee, sagte ich ihr, dein Zahnweh würde bald verschwinden.
Es befolgte augenblicklich den Rat, eilte dem Garten zu und kam nach 10 Minuten
zurück mit dem freudigen Rufe, daß alles Zahnweh gänzlich
nachgelassen habe.
Niemals darf das Schneegehen stattfinden, wenn nicht der ganze Körper
warm ist. Wen friert oder fröstelt, der suche zuerst durch Arbeit oder
Bewegung die normale Leibeswärme sich zu verschaffen. Personen, die an
Fußschweiß, offenen Füßen, aufgesprungenen, oder eiternden
Frostbeulen leiden, können selbstverständlich niemals im Schnee
gehen, bis anderweitige Heilung (s. Fußbad oder Fußdampf) eingetreten.
29
5. Im Wasser gehen. So einfach es scheint, im Wasser bis an
die Waden zu gehen, so dient doch gerade diese Anwendung a) zur Abhärtung;
es wirkt diese Anwendung auf den ganzen Körper, kräftigt die ganze
Natur; b) sie wirkt günstig auf die Nieren und auf Ableitung des Harnes,
verhütet deswegen manche Leiden, die in den Nieren, der Blase und im
Unterleib entstehen; c) sie wirkt recht gut auf die Brust, erleichtert das
Atmen und leitet Gase aus dem Magen; d) sie wirkt besonders gegen Kopfleiden,
Eingenommenheit des Kopfes, Kopfschmerzen. Man kann dieses Abhärtungsmittel
anwenden, indem man in eine Badewanne (oder Schaff, Zuber) anfangs bis über
die Knöchel im kalten Wasser Bewegung macht. Wirksamer ist es, wenn die
Abhärtung gesteigert wird und man bis an die Waden im Wasser geht, am
wirksamsten, wenn das Wasser bis zu den Knien reicht.
Die Dauer betreffend, so kann man anfangen mit einer Minute, dann länger
bis 5 und 6 Minuten. Je kälter dabei das Wasser, um so besser. Nach solcher
Anwendung ist Bewegung im Winter im warmen Zimmer, im Sommer im Freien zu
machen, bis zur vollständigen Erwärmung. Im Winter kann Schnee ins
Wasser getan werden. Bei Schwächlingen kann man mit Wasser anfangen,
das nicht sehr kalt ist, und nach und nach zum kälteren und schließlich
zum ganz kalten übergehen.
6. Zur Abhärtung speziell der Extremitäten, der Arme und Beine,
dient folgende Übung in vorzüglicher Weise: Man steht ins kalte
Wasser bis an oder über die Knie, nicht länger als eine Minute.
Nach dem Bekleiden der Füße entblößt man die
30
Arme bis zu den Achseln und hält auch diese eine Minute in das kalte
Wasser. Besser tut derjenige, der beide Übungen zu gleicher Zeit vornimmt.
Wer im Besitze einer größeren Badewanne ist, kann dieses unschwer
tun. Die Übung kann auch in der Art vorgenommen werden, daß die
Füße in ein eigenes Gefäß am Boden zu stehen und die
entblößten Arme und Hände in ein auf einem Stuhl erhöhtes
Holzschaff zu ruhen kommen.
Nach manchen Krankheiten wende ich diese Übung gerne an, um den Fluß
des Blutes nach den Extremitäten zu steigern.
Das Eintauchen der Arme allein tut gute Dienste all denen, welche an Frostbeulen
und kalten Händen zu leiden haben. Gut tut, wer die Hände (nicht
Arme) nach dem Eintauchen gleich abtrocknet, weil scharfe Luft den freien
Stellen sonst Hautsprünge verursachen könnte.
Die Vornahme dieser Übung fordert, daß der Körper sich normal
warm fühlt (nicht fröstelt). Füße, welche bis über
die Knöchel (nicht bis über die Waden), Arme, die bis zum Ellenbogen
kalt sind, sollen von der Applizierung nicht abhalten.
7. Als letztes Abhärtungsmittel sei der
Knieguß aufgezählt.
Man suche die Art seiner Applizierung bei den Gießungen. Er ist der
besondere Freund der Füße, indem er in deren blutleere Adern das
Blut lockt.[4] An dieser Stelle habe ich nur zu bemerken, daß ich den
Knieguß, wenn ihn Gesunde zur Abhärtung benützen, in stärkeren
Formen gebe. Es wird dieses z. B. dadurch erreicht, daß ich den Strahl
höher auffallen lasse, daß ich zur Winterszeit das Wasser durch
Schnee und Eis noch mehr kühle usw.
Die Übung kann nur vorgenommen werden, wenn der Körper warm ist
(nicht fröstelt). Bis zu den Knöcheln kalte Füße sollen
die Anwendung nicht hindern. Desgleichen darf der Knieguß allein, d.
i. ohne von einer anderen Anwendung begleitet zu sein, nicht zu lange fortgesetzt
werden (nicht über 3-4 Tage). Wer ihn länger gebraucht, gebraucht
ihn im Wechsel mit dem Oberguß oder dem Eintauchen der Arme (s. Nr.
6), in der Frühe die eine, nachmittags die andere Anwendung.
Diese angeführten Abhärtungsmittel mögen genügen. Dieselben
können zu jeder Jahreszeit vorgenommen, im Winter und Sommer fortgesetzt
werden. Im Winter wird man die eigentliche Anwendung etwas abkürzen,
dagegen die Bewegung nach derselben um
31
ein weniges verlängern. Ungewohnte tun gut, die Abhärtungsübungen
nicht gerade im Winter zur kalten Jahreszeit zu beginnen. Vornehmlich gilt
dieses allen, welche an Blutarmut, innerer Kälte viel leiden und durch
Wollkleidung verwöhnt, verweichlicht, empfindlich geworden sind. Ich
sage dies, nicht als ob ich Schaden befürchte; ich fürchte lediglich
das Abgeschrecktwerden von einer überaus guten Sache.
Gesunde und Kränkelnde können ohne Bedenken sämtliche Übungen
vornehmen, beide mit Vorsicht und die Anweisungen genau befolgend. Schlimme
Folgen sind niemals der Anwendung, sondern stets irgend einer größeren
oder kleineren Unvorsichtigkeit zuzuschreiben. Selbst bei Schwindsüchtigen,
bei denen das Leiden schon ziemliche Fortschritte gemacht hatte, habe ich
die Nummern 1. 2. 3. 6. mit großen Erfolgen angewendet.
All die Leutchen, denen mein Büchlein in erster Linie gilt, brauche ich
nicht zur Abhärtung aufzumuntern. Ihr Beruf, die täglichen Pflichten
bringen täglich, oft stündlich das eine oder andere der genannten
und viele, unzählige ungenannte Abhärtungsmittel von selbst mit
sich. Sie mögen ruhig ausharren und niemanden beneiden, der es scheinbar
besser hat als sie. Das sind Täuschungen, sehr oft, ja meistens große
Täuschungen.
Diejenigen meiner verehrten Leser, welche die angeführten Dinge vielleicht
noch niemals, auch nur dem Namen nach gehört haben, lade ich ein, vor
dem Verdammungsurteile eine kleine, die kleinste Probe anzustellen. Wenn dieselbe
zu meinen Gunsten ausfällt, soll es mich freuen, nicht meinetwegen, sondern
wegen der Wichtigkeit der Sache. Es brechen im Leben viele Stürme herein
über die Gesundheit der Menschen. Wohl dem, der ihre (der Gesundheit)
Wurzeln durch die Abhärtung gut gefestigt, in die Tiefe geleitet und
gegründet hat.
32
Wasser-Anwendungen.
Die bei mir zur Anwendung kommenden Wasserheilmittel teilen sich in:
A. Aufschläger.
B. Bäder.
C. Dämpfe.
D. Gießungen.
E. Waschungen.
F. Wicklungen.
G. Trinken des Wassers.
A. Aufschläger.
Da beim Volke die folgenden Anwendungen bereits unter dem Namen Aufschläger
eingebürgert und bekannt sind, so behalte ich die Benennung gerne bei,
selbst auf die Gefahr hin, daß sie nicht ganz zutreffen sollte. Unter
den Aufschlägern ist verwendet:
1. Der Oberaufschläger.
Ein größeres, grobes Linnenstück (Strohsackleinwand eignet
sich sehr gut dazu) wird 3-4-6-8-10fach der Länge nach zusammengelegt,
so breit und so lang, daß es vom Halse an die Brust und den ganzen Unterleib
bedeckt. Rechts und links am Körper soll es nicht wie abgeschnitten aufhören,
sondern zu beiden Seiten durch ein kleines Stück herunterhängen.
Das so zubereitete Tuch wird in kaltes Wasser eingetaucht (zur Winterszeit
darf Warmwasser gebraucht werden), tüchtig, d. i. vollständig ausgewunden
und dann in oben beschriebener Weise dem zu Bette liegenden
33
Patienten aufgelegt. Darüber kommt eine Wolldecke oder ein 2-3fach zusammengelegtes
Linnen, welches den Zweck hat, die nasse Auflage luftdicht abzuschließen,
jeden Zutritt der Luft gründlich zu verhindern, darüber erst das
Federbett. Um den Hals lege ich in der Regel noch ein ziemlich großes
Tuch- oder Wollstück, um der von oben eindringenden Luft den Zugang zu
wehren. Man sei mit dem Zudecken vorsichtig; denn leicht könnten sonst
Erkältungen eintreten.
Der Aufschläger bleibt ¾-1 Stunde liegen; muß nach Vorschrift
die Anwendung, welche in diesem Falle durch Kälte wirken soll, fortgesetzt
werden, so muß auch der indessen warm gewordene Aufschläger erneuert,
d. i. von neuem naßgemacht werden.
Sobald die vorgeschriebene Zeit verstrichen, entfernt man die nassen Tücher,
kleidet sich an und macht Bewegung, oder man bleibt noch eine kleine Zeit
im Bette liegen.
Die Anwendung des Oberaufschlägers wirkt speziell auf die Austreibung
versessener Gase im Magen und Unterleib.
Diese wie die folgenden Übungen erfordern, daß der Körper
warm sei.
2. Der Unteraufschläger.
Dem Oberaufschläger entspricht der Unteraufschläger, der, wenn beide
Anwendungen sukzessive, d. i. nacheinander geschehen, zuerst an die Reihe
kommt. Dabei ist folgendes zu bemerken:
Da auch der Unteraufschläger im Bette zu nehmen ist, legt man, um das
Naßwerden der Matratze oder des Strohsackes zu verhüten, über
das Leintuch ein anderes Linnenstück, darüber der Breite nach eine
Wolldecke (Kotze).
Dasselbe mehrfach (3-4fach) zusammengelegte, vorher durchnäßte
und ausgewundene, rohe Linnenzeug wird der Länge nach so auf die Wolldecke
ausgebreitet, daß es vom letzten Halswirbel an die ganze Wirbelsäule,
den ganzen Rücken hinunterreicht. Darauf legt man sich mit dem Rücken,
schlägt, um sich luftdicht abzuschließen, die ausgebreitete Wolldecke
nach beiden Seiten ein und deckt sich mit Wolle und Federbett gut zu. Auch
der Unteraufschläger soll 3/4 gebraucht und im Verlängerungsfalle
erneuert, von neuem eingetaucht werden, da er wie der Oberaufschläger
nur durch Kälte wirken soll. Die Verhaltungsmaßregeln nach der
Anwendung sind dieselben wie die oben angegebenen.
Zur Stärkung des Rückgrates, des Rückenmarkes, bei Rückenschmerzen,
bei Hexenschuß ist der Unteraufschläger eine vorzügliche Anwendung.
Beim Hexenschuß z. B. kenne ich viele
34
Fälle, in denen zwei solcher Aufschläger, in einem Tage gebraucht,
das Übel gänzlich gehoben haben.
Auch bei Anstauungen von Blut, in der Fieberhitze wirkt der Unteraufschläger
sehr gut.
In welchen einzelnen Fällen er zu gebrauchen und wie oft er zu erneuern
sei, das wird bei den einzelnen Krankheiten gesagt werden.
3. Ober- und
Unteraufschläger, zusammen genommen.
Wie nacheinander, so können diese beiden Anwendungen auf einmal zur selben
Zeit genommen werden.
Man bereitet den Unteraufschläger vor, wie Nr. 2 besagt, desgleichen
den Oberaufschläger, den man neben das Bett legt. Ausgekleidet liegt
man sodann auf den Unteraufschläger und appliziert sich den zur Seite
parat (fertig) liegenden Oberaufschläger. Das Zudecken mit Wolldecke
und Federbett geht leicht. Ist jemand zur Stelle, so kann er beides, Federbett
und Wolldecke, zu beiden Seiten gut einschlagen, daß nirgends die frische
Luft Zutritt hat. Wichtig ist bei dieser Doppelanwendung, daß die der
Breite nach unter dem Unteraufschläger aufgeschlagene Wolldecke so groß
ist, daß sie gleich einer Binde beide nassen Aufschläger einhüllen
kann.
Die Dauer der Anwendung beträgt zum mindesten ¾, zum höchsten
eine Stunde.
Bei großer Hitze, dann wieder bei Gasen, bei Kongestionen, bei Hypochondrie
und anderen Leiden tut dieselbe vorzügliche Dienste.
Der Name Batzerei darf uns nicht aus der Fassung bringen. Wende
sie ruhig an, diese etwas mühsame Kur, sie wird dir manchen Batzen ersparen.
4. Auflage auf den Unterleib.
Der Patient liegt zu Bett.
Ein 4 bis 6fach zusammengefaltetes Linnentuch wird in Wasser getaucht, ganz
ausgewunden (so daß es nicht mehr trieft), auf den Unterleib (Magengegend
und abwärts) gelegt und mit Wolldecke und Federbett sorgfältig zugedeckt.
Die Anwendung kann ¾-2 Stunden dauern. Bei einer Dauer von zwei Stunden
indessen soll die Auflage nach der ersten Stunde erneuert, d. i. von neuem
eingetaucht werden.
Diese Auflage leistet gute Dienste bei Magenbeschwerden, bei Krämpfen,
auch wenn es gilt, das Blut von der Brust und vom Herzen wegzuleiten.
Sehr oft wird zum Eintauchen und Netzen des Tuches statt des Wassers Essig
verwendet, wohl auch, wie solches im besonderen
35
im dritten Teile angegeben ist, ein Absud von Heublumen, Zinnkraut, Haferstroh
usw.
Um den Essig zu sparen, gebe ich die Essig-Auflagen in der Art, daß
ich zuerst ein zweifach gefaltetes Linnen, in halb Wasser und halb Essig eingetaucht,
auf den bloßen Leib lege und darüber dann ein 2-4fach gefaltetes,
nur in Wasser getauchtes Tuch breite. Das Zudecken geschieht wie oben.
Sehr oft bin ich gefragt worden, welche Grundsätze ich befolge bezüglich
der Eisauflagen, des Aderlassens u. a. Dieselben mögen hier in Kürze
ihre Stellung finden.
Wer mit gerunzelter Stirne einem Feinde zur Versöhnung die Hand bietet,
wird schwerer zu Werke kommen, als wer ihm freundlichen Antlitzes und frohen
Herzens die Hand reicht. Dieses Bild will mir nicht übel dünken
da, wo es sich um die Anwendung von Eis oder um Wasser handelt. Von jeher
habe ich die Eis-Auflagen, namentlich auf die edelsten Körperteile (Kopf,
Augen, Ohren usw.) zu den schroffsten und gewaltsamsten Mitteln gerechnet,
welche überhaupt zur Anwendung kommen können. Sie gehen der Natur
nicht helfend an die Hand, daß sie anfange, selbst wieder zu arbeiten;
sie erzwingen gewaltsam etwas von ihr, und das muß sich rächen.
Eistuch und Eisbeutel, und wie die Dinge heißen, sind in meiner Werkstätte
unbekannte Größen und sollen es auch für alle Zukunft bleiben.
Man stelle sich nur einmal die kolossalen Gegensätze vor: drinnen im
Körper die Glühhitze, draußen der Eisberg, dazwischen das
leidende Glied, das von beiden bearbeitete Organ von zartem Fleisch und Blut.
Die Ergebnisse solcher Arbeit habe ich stets nur mit großem Bangen erwartet
und mein Bangen war in den meisten Fällen sehr gerechtfertigt.
Ich kenne einen Herrn, der ein ganzes Jahr hindurch bei Tag und bei Nacht
auf einem Fuße Eis-Auflagen zu tragen hatte, ohne jede Unterbrechung.
Fürwahr, da müßte ja geradezu ein Wunder geschehen, wenn diese
Eisscholle nicht alle Hitze, aber auch die unentbehrliche Naturwärme
davontragen sollte! Von Heilung des Fußes war keine Spur zu sehen.
Aber, entgegnet mir jemand, in vielen Fällen hats in der Tat geholfen.
Mag sein, daß das Übel den Zwangsmitteln nicht widerstehen konnte.
Welches waren indessen die Folgen? Unzählige sind zu mir gekommen mit
teilweisem Verluste des Gesichtes, mit größerer oder geringerer
Taubheit, mit Rheumatismen der verschiedensten Art, besonders mit Kopfhaut-Rheumatismus
und sonstiger großer Empfindsamkeit des Kopfes usw. Woher das alles?
Ja, da und dort und dann, so lauten die Antworten, hat solches
36
der leidige Eisbeutel getan, dieses Übel trage ich nun schon seit so
und so vielen Jahren. Gewiß, und die meisten werden es tragen
bis zum Ende ihrer Jahre.
Noch einmal sei es gesagt: ich spreche durchaus gegen jede Eis-Auflage und
behaupte dagegen, daß das Wasser, richtig angewendet, jedwede, auch
die stärkste Hitze, in welchem Teile oder Organe des Körpers dieselbe
immer wüte, zu dämmen und zu tilgen imstande ist. Wenn eine Feuersbrunst
nicht mehr durch Wasser gelöscht werden kann, dann kann sie auch nicht
durch Eisschollen gelöscht werden. Das sieht ein jeder sehr gut ein.
Ich sagte soeben: Hilfe wird bringen, wer das Wasser richtig anwendet. Darunter
verstehe ich freilich nicht, daß man z. B. bei einer Entzündung
am oder im Kopf, wie man sonst die Eisplatte, den Eisbeutel auflegt, nun möglichst
viele nasse Kopfwickel, Auflagen usw. gebrauchen müsse. 100 Eisplatten
und Kopfwickel werden das Zuströmen des Blutes nach der entzündeten
Stelle, wodurch die Hitze sich steigert, nicht aufhalten. Ich muß das
Blut anders wegzuleiten, zu verteilen suchen, mit anderen Worten: ich muß
neben den Anwendungen auf die leidende Stelle auch solche auf den ganzen Körper
machen. Diesen Feind in oder am Kopf z. B. werde ich zu allererst bei den
Füßen des Patienten angreifen und allmählig dann gegen den
ganzen Körper vorrücken.
Das Eis leistet im übrigen auch mir bei meiner Wasserkur durch indirekte
Verwendung treffliche Dienste. Es kühlt zur Sommerszeit das Wasser, wenn
es anfangen will, lau zu werden.
Wie ich über das Aderlassen, die Blutegel und all die wie immer gearteten
Blutentziehungen denke?
Noch vor 50, 40, 30 Jahren war selten eine Frau, die sich nicht 2, 3, 4 mal
im Jahr zur Ader gelassen; die Halbfeiertage und natürlich die günstigsten
Zeiten waren gleich am Jahresanfange im Kalender strenggläubig gewählt
und rot oder blau angestrichen worden. Die Land- und anderen Ärzte, die
Bader und Rasierer selbst nannten ihre eigene Arbeit in dieser Beziehung eine
förmliche Metzgerei. Auch Anstalten, Klöster hatten
ihre Aderlaßzeit und die vor allem andern streng eingeführte Diät
(Lebensweise) genau bezeichnet. Man wünschte sich Glück vor und
gratulierte sich nach den überstandenen blutigen Strapazen. Diese mögen
zuweilen nicht gering gewesen sein. Ein geistlicher Herr aus jener Zeit versicherte,
32 Jahre lang habe er sich zur Ader gelassen, in jedem Jahre viermal, und
bei jedem Aderlaß 8 Unzen Blut verloren. In Summa 8 × 4 ×
32 = 1024 Unzen Blut.
37
Neben dem Aderlaß gingen noch Blutegel, Schröpfköpfe u. a.
um; es war gut gesorgt für jung und alt, für hoch und nieder, für
Männer und Frauen.
Wie doch die Zeiten sich ändern! Dieses Treiben hielt man lange für
das unum necessarium, das einzige und absolut Notwendige des Gesundseins und
Gesundbleibenwollens. Und wie denkt man heutzutage darüber? Man belächelt
und bespöttelt diesen Irrwahn der Alten, diese Naturwissenschaftlichkeit,
zu meinen, daß irgend ein Mensch zu viel Blut habe. Vor ungefähr
zwei Jahren sagte mir ein literarisch tätiger Arzt des Auslandes, der
einer neueren Schulrichtung folgt, er habe sein Leben lang noch nie Blutegel
gesehen. Viele Ärzte schreiben die Blutarmut unserer Zeit dem früheren
Übelstand und Mißbrauch des Aderlasses zu. Sie mögen recht
haben, nur ist dieses nicht die einzige Ursache.
Doch zur Sache! Meine Überzeugung ist folgende: Beim menschlichen Körper
stimmt alles so wunderbar zusammen, der Teil zum Teil und jeder Teil zum Ganzen,
daß man nicht ansteht, das Gebilde des Körpers ein einziges Kunstwerk
zu nennen, dessen Idee nur in Gottes Schöpfergeist ruhen konnte, und
dessen Inswerksetzung nur durch Gottes Schöpferkraft möglich war.
Dieselbe Ordnung, dasselbe Maß, dieselbe Harmonie besteht zwischen Einnahme
und Verbrauch der zum Unterhalte, zur Erhaltung des Körpers notwendigen
Stoffe, wenn anders der vernünftige und freie Mensch durch rechten Gebrauch
des ihm Gegebenen nach Gottes Willen mitarbeitet und nicht durch Mißbrauch
desselben die Ordnung verkehrt und Mißklänge in die Harmonie bringt.
Da der Sachverhalt ein derartiger ist, so kann ich mir nicht denken, wie die
Blutbildung allein, dieser wichtigste aller Prozesse im menschlichen Körper,
ohne Ordnung, ohne Zahl und Maß, ungeordnet und übermäßig
vor sich gehen solle.
Jedes Kind, so denke ich mir die Sache, bekommt von seiner Mutter mit dem
Leben als Erbteil gleich bei der Geburt ein Quantum, eine Portion Blutbildungsstoff
mit, mag man letzteren nennen, wie man will, gleichsam die Essenz, ohne welche
kein Blut fabriziert, bereitet werden kann. Geht diese Essenz aus, so hört
auch die Blutbildung, mit ihr das eigentliche Leben auf. Absterben, hinsiechen
nenne ich nicht mehr leben. Durch einen jeden Blutverlust nun,
geschehe es durch Fall, Sturz oder durch Aderlaß, Blutegel, Schröpfköpfe,
geht ein Teilchen oder Teil dieses Blutbildungsstoffes, dieser Lebensessenz
verloren; um so viel hat der Mensch weniger, kürzer zu leben. Jede Blutentziehung
bedeutet soviel als Verkürzung des Lebens, denn im Blute ist das Leben.
38
Man wendet ein: Nichts geht rascher als Blutbildung; Blut verlieren, Blut
gewinnen, ist fast ein und dasselbe.
Unglaublich wunderbar schnell geht die Blutbildung vor sich, das gestehe ich
vollkommen zu. Aber man entschuldige folgendes Erfahrungsargument (Beispiel);
es wird meine Leser aus dem Bauernstand interessieren und sie werden es bestätigen
müssen. Wer ein Stück Vieh schnell fett machen will, zapft ihm einen
großen Teil Blutes ab, läßt ihm zur Ader und füttert
es dann recht gut. In ganz kurzer Zeit wird neues, schönes Blut in Menge
fließen. Dabei gedeiht das Stück außerordentlich und nimmt
zu an Fettigkeit. Nach 3-4 Wochen läßt man nochmals Blut ab und
füttert wieder kräftig und gut, gibt auch viele und kräftige
Tränke. Das Gedeihen ist prächtig, und selbst ein altes Stück
Vieh wird beim Schlachten so viel und so schönes Blut zeigen wie ein
junges. Sehen wir uns indessen das Blut näher an! Das künstlich
gebildete Blut ist nur mehr wässeriges, fades, lebensunfähiges Blut.
Das Stück Vieh hat keine Kraft, keine Leistungsfähigkeit, keine
Ausdauer mehr, und wird es nicht bald geschlachtet, so wird sich binnen kurzem
die Wassersucht ansetzen.
Sollte es bei dem Menschen anders sein? Wer schon mehr als 60 Jahre zählt
und ein bißchen Erfahrung und Einsicht hat ins Menschenleben, weiß,
wie gerade der unmäßige Aderlaß der Voreltern Einfluß
hatte auf Fähigkeiten, Talente, Lebensdauer der Nachkommen. Der im Beginne
dieser Abhandlung angeführte Herr, der so viele Unzen Blut lassen mußte,
starb in den schönsten Mannesjahren an der Wassersucht. Und wenn eine
Frau, es sind dieses Tatsachen, 300mal, eine andere 400mal sich zur Ader ließ
und dabei namenlos schwach und krank wurde, mußte da die folgende Generation
nicht schwächlich und gebrechlich, zu Krämpfen und anderen Leiden
veranlagt sein?
Ich gestehe gerne zu, daß es Fälle geben kann, welche aber stets
zu den Ausnahmen gehören, in denen, da andere rasch wirkende Mittel nicht
zur Hand sind, der Aderlaß eine augenblickliche Gefahr beseitigt.
Sonst aber frage ich jeden vernünftigen Unparteiischen: Was ist besser,
sich Stück für Stück vom Lebensfaden abzwacken zu lassen, oder
durch richtige Wasseranwendung das Blut so zu verteilen, daß selbst
der Vollblütigste kein zu großes Quantum Blut besitzt? Wie und
durch welche Anwendungen diese Verteilung zu geschehen habe, ist an passender
Stelle des öfteren erörtert.
Gewöhnlich bekommt man zu hören, daß bei drohenden Schlaganfällen
der Aderlaß das einzige Rettungsmittel sei.
39
Da erinnere ich mich soeben des Falles, wo nach einem stattgehabten Schlagflusse
der erste Arzt in der Tat schnell zur Ader ließ, der zweite Arzt aber
bestimmt erklärte, der Kranke müsse gerade infolge dieses Aderlasses
sterben, was auch geschah. Nicht Blutreichtum und Blutüberfluß
führen, wie irrtümlicher Weise die Leute meinen, in der Regel einen
Schlag herbei, sondern Blutarmut. Er ist am Schlage verschieden
heißt gewöhnlich soviel als: mit dem Ausgehen des Blutes ist ihm
auch das Leben ausgegangen. Das Öl hat aufgehört zu fließen
und zu befruchten; deshalb ist der glimmende Docht völlig erloschen.
Welch nützliche Dienste gerade nach Schlaganfällen das Wasser leistet,
lese man im dritten Teile nach. Ich bemerke hier nur noch, daß gerade
mein Vorgänger im pfarrlichen Amte dreimal vom Schlage gerührt und
nach dem dritten Male vom Arzt als lebensunfähig erklärt wurde.
Das Wasser hat ihn nicht nur im Augenblicke gerettet, sondern noch mehrere
Jahre seiner Gemeinde erhalten.
B. Bäder.
I. Fußbäder
Die Fußbäder können kalt und warm zur Anwendung kommen.
1. Das kalte Fußbad
besteht darin, daß man 1-3 Minuten bis an oder über die Waden
in kaltem Wasser steht.
Bei Krankheiten dienen kalte Bäder vornehmlich dazu, das Blut von Kopf
und Brust abwärts zu leiten; sie kommen indessen meist nur in Verbindung
mit anderen Anwendungen vor, zuweilen in Fällen, in denen Ganz- oder
Halbbäder von den Patienten verschiedener Ursachen wegen nicht ertragen
werden.
Bei Gesunden bezwecken sie Auffrischung (Entziehung der Mattigkeit) und Kräftigung
und sind Landleuten insbesondere zur Sommerszeit anzuraten, wenn nach anstrengenden,
sehr ermüdenden Tagen nachts der Schlaf sich nicht einstellen will. Sie
ziehen die Müdigkeit aus, bringen Ruhe und guten Schlaf.
2. Das warme Fußbad
kann auf verschiedene Art genommen werden.
a) In warmes Wasser von 25-26°C. bringt man eine Hand voll Salz und die
doppelte Quantität Holzasche. Nach gehöriger Mischung benützt
man das Fußbad ungefähr 12-15 Minuten.
Zuweilen gebe ich - es muß solches stets besonders verordnet werden
- so ein Fußbad mit einer Temperatur bis zu
40
30°, jedoch stets mit darauffolgendem kalten Fußbad von der Dauer
einer halben Minute.
Die Fußbäder dienen vortrefflich überall da, wo wegen Kränklichkeit,
Gebrechlichkeit, mangelnder Körperwärme usw. strenge und kalte Mittel
nicht leicht gebraucht werden können, da zu geringe oder gar keine Reaktion
stattfindet, d. h. das kalte Wasser wegen Blutmangels zu wenig Wärme
entwickelt.
Es sind die eigentlichen Fußbäder für schwächliche, blutarme,
nervöse, sehr junge und sehr alte, vorherrschend für Frauens-Personen
und erweisen sich sehr wirksam bei allen Störungen im Blutumlaufe, bei
Kongestionen, Kopf- und Halsleiden, Krämpfen usw.
Sie leiten, ziehen das Blut nach den Füßen und wirken beruhigend.
Solchen, die an Fußschweiß leiden, empfehle ich dieselben nicht.
Bei unserem Landvolke sind diese warmen Fußbäder allbekannt und
deren Wirkungen, wie der häufige Gebrauch zeigt, allgemein bekannt.
b) Ein heilkräftiges Fußbad ist das Heublumen-Fußbad.
Man übergießt (schwellt an) eine kleine Schürze
(3-5 Hand voll) Heublumen[5] mit strudelndem Wasser, deckt das Gefäß
zu und läßt die ganze Mischung bis zu der angenehmen Fußbadwärme
von 25-26°C. erkalten.
Es ist ganz gleichgültig, ob die Heublumen selbst im Fußbade verbleiben,
oder ob nach Entfernung derselben der Absud allein zur Verwendung komme. Gewöhnliche
Leute lassen der Einfachheit und Zeitersparnis wegen in der Regel alles beisammen.
Diese Fußbäder wirken auflösend, ausleitend und stärkend
und dienen sehr gut bei kranken Füßen, des weiteren bei Fußschweißen,
bei offenen Schäden, bei Quetschungen aller Art (ob durch Schlag, Stoß,
Auffallen usw. entstanden, ob blutend oder blutunterlaufen), bei Geschwülsten,
bei der Fußgicht, bei Verknorpelungen an und bei Fäulnis zwischen
den Zehen, bei Nagelgeschwüren, bei Verletzungen durch zu enge Schuhe
usw. Im allgemeinen kann gesagt werden: diese Fußbäder dienen all
jenen Füßen vortrefflich, deren Säfte mehr krankhaft und zur
Fäulnis neigend als frisch und gesund sind.
Ein Herr litt entsetzlich an der Fußgicht. Er schrie vor Schmerzen.
Ein solches Fußbad mit Fußwickel, der in den Absud getaucht war,
benahm nach einer Stunde die gräßlichen Schmerzen.
41
c) An das Heublumenfußbad schließt sich enge an das Haferstrohfußbad.
In einem Kessel werde Haferstroh eine halbe Stunde lang gesotten und der Absud
zu einem Fußbade von 25-26°C. verwendet, in dem man 20-30 Minuten
aushält.
Nach meinen Erfahrungen sind diese Fußbäder unübertroffen,
wenn es sich um Auflösung aller möglichen Verhärtungen an den
Füßen handelt. Sie dienen somit bei Verknorpelungen, Knoten usw.,
den Folgen von Gicht, Gliedersucht, Podagra, bei Hühneraugen, bei eingewachsenen
faulenden Nägeln, bei durch Gehen entstandenen Hitzblattern. Selbst offene,
eiternde Füße und durch zu scharfen Fußschweiß verwundete
Zehen können in diesem Fußbade behandelt werden.
Ein Herr schnitt sich das Hühnerauge aus. Die Zehen entzündeten
sich; ein bösartiges Geschwür ließ an Blutvergiftung denken.
Täglich drei Haferstrohfußbäder und bis über die Fußknöchel
reichende Fußwickel, in solchen Absud getaucht, heilten den Fuß
innerhalb vier Tagen.
Einem Kranken drohten sämtliche Zehen eines Fußes wegzufaulen.
Geschwülste, dunkelblau gefärbt, legten wiederum die Besorgnis vor
Blutzersetzung nahe. Die Fußbäder und Fußwickel halfen in
kurzer Zeit wieder auf die Beine.
In manchen Fällen verordne ich bei den genannten Fußbädern
(man lese die einschlägige Stelle bei: Warmes Vollbad S.
57) wie bei den warmen Vollbädern den dreimaligen Wechsel. Den Abschluß
bildet auch hier wie dort das Kalte. Eine stete Ausnahme bildet jedoch das
oben unter a erwähnte 25 bis 26° warme Fußbad mit Beigabe von
Asche und Salz. Dasselbe hat den Zweck, das Blut in verstärkter Weise
von oben nach unten zu ziehen und daselbst zu verteilen. Wer auf dieses warme
Fußbad also noch ein kaltes folgen ließe als Abschluß, der
würde das stark nach den Füßen geleitete Blut abermals von
unten nach oben zurückschrecken, und es würde dasselbe keineswegs
mehr in so ausgiebiger Menge in die Füße hinabfließen, in
der es durch das warme Wasser mit Asche und Salz hinabgezogen wurde. Die erste,
gewollte Wirkung würde auf diese Art wenigstens teilweise aufgehoben
und der Zweck vereitelt. Auf das warme Fußbad mit Beigabe von Asche
und Salz folgt also nie ein kaltes.
d) An eine besondere Art von Fußbädern, die mehr fester als tropfbar
flüssiger Natur sind, möchte ich hier nur erinnern. Wer in die Möglichkeit
ihres Gebrauches gesetzt ist, verschmähe dieselben nicht! Ich habe sie
oft, sehr oft mit großem Erfolge angewendet.
Man nehme in ein Gefäß (Fußkübel) den noch warmen Malztreber.
Die Füße bohren sich leicht ein und fühlen sich in der wohltuenden
Wärme bald heimisch. Das Bad kann 15-30 Minuten währen.
Wer an Rheumatismus, Gicht oder ähnlichen Übeln leidet, wird die
Heilwirkung am besten spüren.
Eine Bemerkung, welche für sämtliche Fußbäder gilt, ist
folgende: Bei Personen, die mit Krampfadern behaftet sind, sollen die Fußbäder
nie weiter als bis zu den beginnenden Waden reichen und die Temperatur von
25°C. nicht übersteigen.
42
Fußbäder mit einfachem warmem Wasser, ohne jede Beimischung, nehme
und verordne ich nie.
II. Halbbäder.
Im allgemeinen verstehe ich unter Halbbädern jene Bäder, welche
den Körper im höchsten Falle bis zur Mitte des Unterleibes, ungefähr
bis zur Magengegend herauf bespülen, aber sehr oft unter diesem höchsten
Wasserstande bleiben. Ich mußte ein Mittelding haben zwischen den Vollbädern,
die mir zu viel, und zwischen den Fußbädern, die mir zu wenig bieten.
Für dieses Mittelding wählte ich mit Verlaub den Namen Halbbäder.
Die Anwendung kommt in dreifacher Art vor:
1. ins Wasser stehen, so daß dieses reicht bis über die Waden oder
über die Knie;
2. ins Wasser knien, so daß die ganzen Schenkel mit ins Wasser kommen;
3. ins Wasser sitzen. Die dritte Art nur verdient mit Recht den Namen des
eigentlichen Halbbades; es reicht bis zur Mitte des Unterleibes, bis in die
Nabelgegend.
Alle drei Anwendungen, die stets nur in kaltem Wasser vorgenommen werden,
zählen in erster Linie mit zu den Abhärtungsmitteln. Sie betreffen
demnach Gesunde, die noch stärker, Schwächlinge, die stark, Rekonvaleszenten,
die vollends gesund und stark werden wollen. In Krankheitsfällen muß
ihr Gebrauch speziell und ausdrücklich vorgeschrieben sein, sonst soll
man damit keine Versuche anstellen, sie könnten unter Umständen
nicht gut ausfallen.
Bei jeder Art des Verwendens, sie betreffe Gesunde oder Kranke, ist die Anwendung
stets eine Teilanwendung, d. h. sie kommt nur in Verwendung mit anderen Anwendungen
vor und darf die Gebrauchszeit ½-3 Minuten nie übersteigen.
Die Nummern 1 und 2, ins Wasser stehen und ins Wasser knien, habe ich bei
solchen Personen, die an Kraft durch die verschiedensten Ursachen gänzlich
heruntergekommen waren, beim Beginne der Wasserkur stets mit großem
Erfolge angewendet. Ich will diese Ursachen nicht nennen, sondern nur andeuten,
daß es viele gibt, welche den Druck des Wassers bei Vollbädern
anfangs ohne die unangenehmsten Folgen nicht ertragen können. Man gehe
über diesen Punkt nicht mit vornehmem Naserümpfen oder mit Lachen
hinweg. Ich wäre gerne bereit, nicht einige, nein, Hunderte von schlagenden,
lebendigen Beispielen aus den verschiedensten Klassen
43
und Ständen anzuführen. Gerade solche (wegen zu großer Schwäche
und Armseligkeit) Kranke haben mich auf diese zwei Anwendungen gebracht; ihr
Zustand erforderte diese diskrete, maß- und rücksichtsvollste Wasserbehandlung
- manchmal durch lange Wochen hindurch, so lange, bis sie mehr gekräftigt
auch mehr aushalten konnten.
Als zweite abhärtende Übung wird mit beiden Nummern gewöhnlich
verbunden das Eintauchen der Arme bis zu den Achseln (s. Abhärtungsmittel
S. 29). Neben Stählung der Natur verordne ich diese eine ganze (aus zwei
Teilanwendungen bestehende) Anwendung speziell gegen kalte Füße.
Die Nummer 3, das eigentliche Halbbad ist wohl zu beachten; ich empfehle dieses
allen Gesunden auf das eindringlichste. Die Unterleibsschwächen und Unterleibskrankheiten
- und deren Zahl ist Legion, deren Ursache im Grunde nur eine: Mangel an Abhärtung,
Verweichlichung - werden durch sie im Keime erstickt, die schon seßhaften
beseitigt. Diese Halbbäder kräftigen den Unterleib, erhalten und
mehren die Kraft. Tausende und Tausende von Menschen tragen eine, zwei, mehr
Leibbinden und anderes. Machen die es besser? Oft schlimmer; sie binden die
Verweichlichung, das Gebrechen erst recht sozusagen in den armen Leib hinein.
Man probiere einmal langsam, aber entschieden unser Halbbad! Die Klagen über
Hämorrhoiden, Windkolik, Hypochondrie, Hysterie usw. werden sich in Bälde
bedeutend mindern, Übel, die jetzt im kranken und geschwächten Unterleib
ihr geistverrückendes Spiel treiben.
Gesunden gebe ich den Rat, sie sollen morgens beim Aufstehen den Oberkörper
waschen, nachmittags oder abends sodann unser Halbbad nehmen. Haben sie zur
Waschung in der Frühe keine Zeit, so mögen sie im Halbbade selbst
die Waschung des Oberkörpers (der Brust und des Rückens) vornehmen.
Über den Gebrauch der einen oder anderen unserer drei Anwendungen in
Krankheitsfällen mögen Beispiele ein Wort sagen.
Ein junger Mann wurde durch den Typhus derart geschwächt, daß er
zu jeder Arbeit unfähig war. Längere Zeit hindurch kniete er jeden
2. oder 3. Tag 1, später 2-3 Minuten ins Wasser.
Er erholte sich von Woche zu Woche mehr und wurde kräftig wie früher.
Jemand leidet an heftigen Kongestionen, die vom Unterleibe (es kommt dieses
häufig vor) ausgehen. Er wäscht den einen Tag den Oberkörper
kräftig ab, den andern Tag kniet er ins Wasser. So setzt er es eine geraume
Zeit fort und wird frei.
44
Magenleiden, die von Blähungen, verhaltenen oder versessenen Winden herrühren,
werden ebenso geheilt.
Das Austreiben solcher Gase, die nach Krankheiten zu den belästigendsten
Übeln gehören können, ist ein Spezifikum, d. i. eine ganz besondere
Wirkung unseres Halbbades.
III. Sitzbäder.
Die Sitzbäder kommen kalt und warm zur Verwendung.
1. Das kalte Sitzbad
wird in folgender Weise genommen.
Fig. 1.
Fig. 2.
Die eigens für die Sitzbäder gefertigte Sitzbadewanne (Fig. 1) oder
in deren Ermangelung das weite, nicht tiefwandige Gefäß aus Holz,
Blech oder Zink (Fig. 2) wird zum vierten oder fünften Teile etwa mit
Kaltwasser angefüllt. In diese Wanne setzt man sich ausgekleidet wie
auf einen Stuhl derart, daß der halbe Unterleib bis in die Nierengegend
und die obere Hälfte der Schenkel in das Wasser kommen. Die andere Schenkelhälfte
gegen die Knie zu und die Füße kommen außer Wasser zu stehen
(s. Abbildung). Wer schon einige Praxis hat, braucht sich nicht ganz auszukleiden.
Die Dauer eines Bades dehnt sich von 1/2 bis zu 3 Minuten.
Fig. 3.
Diese kalten Sitzbäder gehören nebst den Halbbädern zu den
bedeutsamsten und wirksamsten Anwendungen speziell für den Unterleib.
Sie sind Luft (Gas) ausleitend, die schwache Verdauung und den Stuhlgang
befördernd, den Blutumlauf regulierend, stärkend und deshalb bei
Bleichsucht, Blutfluß und ähnlichen Zuständen, bei Unterleibsgebrechen
45
der delikatesten Art nicht genug zu empfehlen. Niemand braucht die naßkalte,
nur 1-2 Minuten dauernde Anwendung zu fürchten. Gut und nach Vorschrift
ausgeführt kann dieselbe niemals schaden.
Um Erkältungen vorzubeugen, um gefeit, gekräftigt, unempfindlich
zu werden gegen den häufig so arg mitspielenden Temperaturwechsel,
nehme man öfters solche Sitzbäder, am besten nachts vom Bette
aus. Man erwacht zu irgend einer Stunde, steigt schnell ins Sitzbad (das
Auskleiden bleibt erspart) und sofort, ohne abzutrocknen, wieder ins Bett.
Ich kenne einen Herrn, bei dem die Wasserwanne neben dem Bette nie eintrocknen
darf, der Sommer und Winter allnächtlich diese Bäder benützt,
dabei stets in ungeheiztem Raume schläft. Ich empfehle dieses nicht
einem Jeden, lobe mir aber den abgehärteten Mann, der, obgleich hoch
in den Jahren, seiner Übung treu bleibt und sich dabei wohl befindet.
Wem der gesunde ruhige Schlaf fehlt, schon beim Beginn der Nachtruhe, wer
nachts aufwacht und nicht wieder einschlafen kann, wer überhaupt an
Schlaflosigkeit leidet, benütze fleißig das kalte Sitzbad. Die
Sitzungen während je 1-2 Minuten benehmen die Aufregung und verschaffen
angenehme Ruhe.
Ein Patient vermochte geraume Zeit hindurch selten länger als 1-2 Stunden
zu schlafen und wälzte sich, alle möglichen Gedanken aufgreifend,
in immer tiefere Aufregung hinein. Diese Bäder brachten ihm den heißersehnten
Gast.
Wer in der Frühe mit eingenommenem Kopfe, wer matter aufsteht, als
er zur Ruhe ging: beiden rate ich dringend diese Anwendung.
Auch allen Gesunden sei dieselbe hiermit nochmals aufs wärmste empfohlen.
2. Das warme Sitzbad
bereite ich niemals mit warmem Wasser allein. Dasselbe ist bei mir stets
entweder
a) ein Zinnkraut-Sitzbad oder
b) ein Haferstroh-Sitzbad oder
c) ein Heublumen-Sitzbad.
Die Zubereitung der drei Bäder geschieht auf eine und dieselbe Weise.
Man gießt strudelndes Wasser über das Kraut und
46
läßt die Mischung auf dem Feuer eine Zeit aufkochen. Sodann rückt
man das Kochgefäß aus der Hitze weg, läßt den Absud
samt dem Kraut abkühlen, bis er die Badetemperatur von 24 bis 26°,
selten 30°C. erreicht hat, und schüttet beides, Absud und Kraut,
in die bereitstehende Sitzbadewanne. So ein Sitzbad darf 1/4 Stunde währen,
und da es schade wäre, den Absud alsdann wegzugießen, lasse ich
denselben noch zu zwei weiteren Anwendungen benützen. Die eine geschieht
3-4 Stunden später als die erste, die andere eine Stunde später
als die zweite Anwendung, beide im kalten Absude, je zu 1-2 Minuten.
Solche Kräutersitzbäder erlaube ich wöchentlich höchstens
2-3 mal, öfters nur im Wechsel mit kalten oder in Fällen, wo es
sich um die Heilung eines tief eingewurzelten Übels handelt,wie bei
hervorragenden Hämorrhoidalleiden, bei Mastdarmfisteln, Blinddarmbeschwerden
und ähnlichem.
Bruchleidende brauchen sich durch ihr Gebrechen von der Benützung dieser
Bäder nicht abhalten zu lassen.
a) Das Zinnkraut-Sitzbad dient speziell und hauptsächlich bei krampfhaften,
rheumatischen Zuständen der Nieren und der Blase, bei Gries- und Steinleiden,
bei Beschwerden im Urinieren (Wassermachen).
b) Das Haferstroh-Sitzbad ist ein vorzügliches Bad bei allen gichtischen
Leiden.
c) Das Heublumen-Sitzbad hat mehr allgemeine Wirkung und wird in Ermangelung
von Zinnkraut und Haferstroh bei allen oben angeführten Unterleibsleiden
angewandt, wenn auch weniger wirksam. Gute Dienste hat es mir stets geleistet
bei der Auflösung von Anstauungen im Unterleibe, bei der Behandlung von
äußeren Geschwülsten, Geschwüren (Gürtelausschlag),
bei hartem Stuhlgang, bei Hämorrhoiden, bei krampfhaften und kolikartigen
Erscheinungen (Windkolik).
IV. Vollbäder oder Ganzbäder.
Auch diese Bäder werden unterschieden in kalte und warme Vollbäder.
Jede Art dient sowohl den Gesunden als den Kranken.
1. Das kalte Vollbad
kann auf zweifache Weise genommen werden: entweder steht oder liegt man
mit dem ganzen Körper in das kalte Wasser, in die Badewanne.
47
Oder man geht, um den fühlbaren Druck des Wassers auf die Lunge zu vermeiden
(obgleich nie eine Gefahr ist), nur bis unter die Arme ins Wasser, so daß
die Lungenspitzen frei bleiben, und wäscht den Oberkörper mit der
Hand oder einem rauhen Linnen (Handtuche) rasch ab.
Die kürzeste Dauer eines solchen kalten Vollbades ist 1/2 Minute, die
längste, welche nicht überschritten werden soll, drei Minuten.
Auf diese meine Sonderanschauung werde ich im folgenden noch einige Male zurückkommen
müssen. Hier stehe nur die Bemerkung, daß ich vor ungefähr
20 Jahren selbst noch anderer Meinung war, Bäder von längerer Dauer
anriet und im Glauben lebte, die Wasserheilanstalten könnten von der
besten Methode nicht weit abirren.
Die langjährige Erfahrung und die tägliche Praxis an mir und an
anderen haben mich seit langer Zeit, wie ich glaube, eines Besseren belehrt.
Diese Lehrmeisterinnen brachten mich zu der festen Überzeugung, daß
bei Kaltwasserbädern der Grundsatz der richtige und wahre ist:
Je kürzer das Bad, desto besser die Wirkung. Wer eine Minute im kalten
Vollbade bleibt, handelt klüger und sicherer als derjenige, welcher fünf
Minuten darinnen bleibt.
Mögen Gesunde oder Kranke dieses Bad gebrauchen, ich verwerfe ein jedes,
das über drei Minuten dauert.
Diese Überzeugung, die unzählige Tatsachen gebracht und seitdem
bestätigt haben, macht es erklärlich, daß ich über die
schroffen Anwendungen in Wasserheilanstalten, auch über das vielfach
unüberlegte Baden zur Sommerszeit meine eigenen Anschauungen habe.
Was den letzten Punkt angeht, so gibt es Leute, welche einmal, ja zweimal
im Tage je 1/2 Stunde und darüber im Wasser bleiben. Bei tüchtigen
Schwimmern, die starke Bewegung machen und nach dem Baden gute, kräftige
Nahrung zu sich nehmen können, sage ich weniger. Die kräftige Natur
wird schnell ersetzen, was das Bad ihr genommen. Den Landratten aber, die
ohne rechte Bewegung wie mühsam gehende Schildkröten eine halbe
Stunde im Wasser herumkriechen, nützt so ein Badmartyrium nicht nur nichts
(die Reinigung der Hautwäsche hätten sie billiger haben können),
es schadet, und wenn es öfters, gar zu oft wiederkehrt, schadet es viel:
derlei Bäder machen schlaff und müde. Statt daß sie der Natur,
dem Organismus nützen, ziehen sie ihn aus; statt daß sie kräftigen
und nähren, zehren sie.
48
a) Das kalte Vollbad für Gesunde.
Öfters kamen mir von bekannter und unbekannter Seite Warnungen zu
des Inhalts, ich möchte doch bedenken, daß die Anwendung des kalten
Wassers gleichbedeutend sei mit Wärme-Entziehung, daß Wärme-Entziehung
blutarmen Personen sehr schade und die Nervenreizbarkeit in hohem Grade steigere.
Ich unterschreibe jedes Wort, wenn es sich um allzu schroffe Anwendungen der
oben beschriebenen Art handelt; meine Anwendungen aber, an dieser Stelle die
kalten Vollbäder, empfehle ich vorerst allen Gesunden zu jeder Jahreszeit,
im Sommer und Winter, und behaupte, daß gerade diese Bäder zur
Erhaltung und Kräftigung der Gesundheit wesentlich beitragen; sie reinigen
die Haut, befördern die Hauttätigkeit, erfrischen, beleben und stärken
den ganzen Organismus. Im Winter sollen die Bäder in der Woche die Zahl
zwei nicht leicht überschreiten; eines genügt alle 8, unter Umständen
alle 14 Tage.
Noch zwei Punkte seien hier berührt.
Eine wichtige Rolle im Gesundbleiben spielt das Abgehärtetsein gegen
die verschiedenen Einflüsse, den Wechsel der Temperatur (Witterung, Jahreszeiten).
Unglücklich der Mensch, dem jeder Windhauch, jedes Lüftchen die
Lunge, den Hals, den Kopf verdreht, der das ganze Jahr aufmerken muß,
wie heute und morgen die Windfahne gerichtet ist. Dem Baum in der freien Natur
kann es gleichgültig sein, ob Sturm, ob Windstille, ob Hitze, ob Kälte
herrscht. Er trotzt Wind und Wetter, er ist abgehärtet. Der Gesunde probiere
unser Bad, er wird dem starken Baume gleichen.
Ein Grund der Angst und Besorgnis vor den Kaltwasser-Anwendungen ist vielen
sehr schwer zu benehmen; ich möchte denselben bezeichnen als die fixe
Idee von der Wärme-Entziehung. Die Kälte schwächt und muß
schwächen, sagen sie, wenn nicht auf deren Anwendung alsbald das Gefühl
der Wärme folgt. Ganz gewiß, ich stimme bei, aber ich behaupte
entgegen, daß, abgesehen von der vielen Bewegung, die nach unseren Grundsätzen
mit jeder Anwendung von kaltem Wasser strenge und vorschriftsmäßig
verbunden ist, unsere Kaltwasserbäder der Natur die Wärme nicht
rauben, vielmehr dieselbe erhalten und pflegen. Statt allem die Frage: Wenn
ein geschwächter, durch fortwährendes Stubensitzen verweichlichter
Mensch, welcher zur Winterszeit nur im äußersten Notfalle noch
einen Ausgang wagen darf, durch die Bäder oder durch die Waschungen auf
einmal so abgehärtet ist, daß er ohne Furcht
49
bei jeder Witterung ausgeht, die empfindsame Kälte selbst kaum mehr empfindlich
spürt, muß bei einem solchen die Naturwärme nicht gewonnen
haben? Sollte dieses alles Schein und Trug sein?
Ein Beispiel von vielen möge doch hier Platz finden!
Ein hoher Herr, über 60 Jahre alt, war wasserscheu aufs äußerste.
Seine größte Sorge bei Ausgängen bestand darin, ja nicht eines
der unentbehrlichen Wollstücke zu vergessen; alle möglichen und
unmöglichen Erkältungen usw. könnten ja die Folge solch
unverzeihlicher Vergeßlichkeit sein. Der Hals des Herrn war vor allen
andern Kopf-, Rumpf- und Gliederteilen so empfindlich, daß er ihn kaum
mehr entsprechend zu pflegen, zu umhüllen wußte. Da kam der Barbar
dahinter. Mit einer gewissen Schadenfreude verordnete er unsere kalten Vollbäder.
Der Herr gehorchte. Und die Folgen? Dieselben waren außerordentlich
günstige. Nach wenigen Tagen schon vollzog sich die erste Häutung;
dem ersten Woll- und Flanellhemd folgte bald das zweite und die Wollseile
des Halses gingen bald denselben Weg. Jeden Tag, an dem er kein Vollbad nehmen
konnte, hielt er für keinen geordneten Tag; so sehr stählte es fühlbar
gegen Klima und Witterung. Und er nahm die Bäder nicht bloß im
erwärmten Zimmer, er nahm dieselben im Oktober noch beim täglichen
Spaziergange in einem Flusse, dessen kalte Wasser ihm willkommener waren als
das Wasser der zu Hause stehenden Badewanne.
Die Hauptfragen, die wir zu beantworten haben, sind folgende:
In welchem Zustande, in welcher Disposition (Beschaffenheit) muß der
gesunde Körper sein, daß er solche kalte Vollbäder mit gutem
Erfolge gebraucht? Ferner:
Wie lange darf ein Gesunder im Bade bleiben? Endlich:
Zu welcher Jahreszeit beginnt man am leichtesten diese Abhärtungskur?
Die gute Disposition für die kalten Vollbäder erfordert wesentlich,
daß der ganze Körper vollkommen warm sei.
Wer somit durch den Aufenthalt im warmen Zimmer, wer durch Arbeiten oder durch
Gehen vollständig durchwärmt ist, befindet sich in der richtigen
Verfassung.
Wem kalt ist, wer an kalten Füßen leidet, wen fröstelt, der
soll bei solchem Kältezustande
50
nie ein kaltes Vollbad nehmen, er habe sich denn zuvor durch Gehen usw. gehörig
erwärmt.
Umgekehrt: wer schwitzt, wer erhitzt (ich rede von gesunden Menschen), im
größten Schweiße wie gebadet ist, nehme ruhig unser Vollbad.[6]
Kaum wird irgend etwas selbst von ruhigen, besonnenen, einsichtsvollen Männern
so sehr gefürchtet, als in der Hitze, im Schweiße sich ins kalte
Wasser zu begeben. Und doch, nichts ist schuldloser. Ja, ich stelle kühn
die wohlüberlegte und langjährig erprobte Behauptung auf: Je ärger
der Schweiß, um so besser, um so wirksamer das Bad.
Bei Unzähligen, die früher geglaubt hatten, es müsse sie bei
solcher Roßkur sofort der Schlag treffen, war nach einem
einzigen Versuche, nach der ersten Probe alle Furcht, alle Angst, alles Vorurteil
geschwunden.[7]
Wer hat denn je, wenn er schwitzend nach Hause kommt, wenn ihm der salzige
Saft übers Gesicht rinnt und die Finger wie mit Klebstoff zusammengeleimt
erscheinen, Bedenken und Furcht, Hände und Gesicht zu waschen, wohl auch
noch Brust und Füße? Das tut ein jeder, denn es macht behaglich
und wohl. Muß die Wirkung für den ganzen Körper - das ist
die notwendige Folgerung - nicht dieselbe sein? Sollte eine Sache, die einzelnen
Teilen vortrefflich zustatten kommt, für dieselben eine Wohltat ist,
für das Ganze ein Nachteil, ein Verderben sein?
Ich glaube, die Angst vor der schädlichen Wirkung der kalten Bäder
für Schwitzende rührt meistens her von der Wahrnehmung, daß
Personen, die, von Schweiß triefend, plötzlich an die Kälte
kommen oder der frischen Luft, besonders der Zugluft sich aussetzen, sich
manchmal schon für ihr ganzes Leben gründlich verdorben haben. Das
ist ganz wahr.
Ich gebe noch mehr zu, daß sich nämlich auch schon manche Schwitzende
im kalten Wasser die Keime zu schweren Leiden holten. Was trägt die Schuld:
der Schweiß oder das Kaltbad? Keines von beiden! Wie bei allem im Leben,
so kommt es auch hier in erster Linie nicht auf das Was, sondern auf das Wie
an, in unserem
51
Falle, wie die Menschen im Schweiße das kalte Wasser gebrauchen. Mit
dem einfachen Taschen- und Brotmesser kann ein Rasender namenloses Unheil
anrichten. Unvernünftige Anwendung kann das höchste Gut in das größte
Übel verkehren. Merkwürdig bleibt nur, daß man dann stets
das Gut und nicht die zu verurteilenden Mißbräuche desselben verdammt.
Auf das Wie des Gebrauches also kommt es an. Wer in diesem Stücke seinem
Kopfe nachgeht, der mag auch die Folgen, an denen er leichtfertigerweise selbst
die Schuld hat, allein tragen.
Damit stehen wir bei der Beantwortung der zweiten Frage: Wie lange darf ein
Gesunder im kalten Vollbade bleiben?
Ein Herr, dem ich wöchentlich zwei solcher Bäder verordnet hatte,
kam nach 14 Tagen zu mir und jammerte, daß sein Zustand sich bedeutend
verschlimmert habe, er sei wie ein Eisklumpen. Das Aussehen war sehr leidend,
und ich begriff nicht, daß das Wasser mich auf einmal so im Stiche gelassen.
Auf meine Frage, ob er die Anwendung genau nach Weisung gemacht, antwortete
der Herr: Aufs genaueste; ich habe noch mehr getan, als Sie befohlen
haben; statt einer Minute bin ich fünf Minuten im Wasser geblieben, dann
aber kaum mehr oder nicht mehr warm geworden. Er machte es die folgenden
Wochen richtig und hatte in Bälde die frühere Naturwärme und
Frische.
Dieser eine Fall illustriert (bildet ab) alle Fälle, in denen das Wasser
geschadet haben soll. Nicht das Wasser, nicht die Anwendung fällt aus
der Rolle; die unvorsichtigen und ungenauen Menschen sind die Missetäter.
Wie nun aber einmal die Gewohnheit besteht, muß ihre Schuld das unschuldige
Wasser tragen.
Wer das kalte Vollbad nimmt, kleide sich rasch aus und lege sich eine Minute
in die bereitstehende Badewanne. Wer es im Schweiße nimmt, setze sich
in die Wanne, d. h. gehe nur bis an die Magengegend ins Wasser und wasche
sich schnell und kräftig den Oberkörper ab. Dann tauche er einen
Augenblick bis zum Halse unter, gehe ungesäumt aus dem Wasser und kleide
sich, ohne abzutrocknen, in tunlichster Eile an. Der Hand- oder Feldarbeiter
kann sofort wieder seine Arbeit aufnehmen; andere müssen (mindestens
eine Viertelstunde) so lange Bewegung machen, bis der Körper trocken
und normal erwärmt ist. Ob dieses im Zimmer oder im Freien geschieht,
bleibt sich ganz gleich; ich für meine Person gebe selbst im Herbst und
Winter stets der frischen Luft den Vorzug.